Der Meister und Margarita

Habent sua fata libelli – BĂŒcher haben ihre eigenen Schicksale. Dieses Zitat gilt auch fĂŒr den letzten Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow (1891–1940). Bulgakow war ursprĂŒnglich Arzt und durchlebte den Russischen BĂŒrgerkrieg auf wechselnden Seiten. Nach dem BĂŒrgerkrieg etablierte er sich in Moskau als Schriftsteller und Journalist und schrieb zahlreiche erfolgreiche TheaterstĂŒcke, ErzĂ€hlungen, Romane und Reportagen. Bulgakows Status als Autor war immer wieder von politischer Seite gefĂ€hrdet, seine Werke wurden zeitweise verboten oder beschlagnahmt. 1930 wandte sich Bulgakow sogar direkt an Stalin, um als Autor weiterarbeiten zu können.

Die ersten Ideen zu »Der Meister und Margarita« hatte Bulgakow bereits, als er 1921 nach Moskau kam. Die letzten Seiten diktierte er seiner Frau vom Totenbett aus. Der Roman konnte aber erst 1966 erstmals als Zeitschriftenabdruck erscheinen und wurde ĂŒber Nacht zu einem der beliebtesten russischen Romane. 1975 erschien dann die deutsche Übersetzung.

ErzĂ€hlt wird von einem Besuch des Teufels mit seinem kleinen Hofstaat in Moskau, um dort einen Ball zu veranstalten. Seine Ankunft löst in der Hauptstadt der atheistischen Sowjetunion erhebliche Verwirrung aus. Bulgakow zeichnet eine fantastische und chaotische Gegenwelt zum bĂŒrokratischen und tristen Alltag der UdSSR. Durchsetzt ist diese Geschichte mit Kapiteln, die die letzten Tage Jesu aus der Sicht von Pontius Pilatus erzĂ€hlen. Wie diese Kapitel mit der RahmenerzĂ€hlung zusammenhĂ€ngen und wer der Meister und Margarita sind, bleibt lange Zeit ein Geheimnis 


Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita. Deutsch von Thomas Reschke. Sammlung Luchterhand 62063. ISBN: 978-3-630-62093-0. Preis: € 10,00.

Goethe & Schiller

Als Goethe 1788 nach Weimar zurĂŒckkehrt, findet er dort unter anderem auch den zehn Jahre jĂŒngeren Schiller vor, der in der Weimarer und Jenaer besseren Gesellschaft eine Ă€hnliche Position einnimmt, wie Goethe sie selbst inne hatte als er Ende 1775 nach Weimar kam: Schiller ist ein junges Genie, das sich gerade mit seinen ersten Theater-Erfolgen beim Publikum bekannt gemacht hatte. Goethe dagegen war mit deutlichen Vorbehalten aus Italien zurĂŒckgekommen und seine gesellschaftliche Stellung in Weimar ist noch nicht wieder gefestigt: Er hatte die meisten seiner amtlichen Aufgaben nicht wieder aufgenommen, eine AffĂ€re mit einer jungen Frau »aus dem Volke« begonnen und auch sonst den Weimarern Anlass genug fĂŒr Klatsch und Tratsch geliefert. Und so verlĂ€uft die Begegnung 1788 fĂŒr die beiden DichtergrĂ¶ĂŸen eher unharmonisch.

Erst 1794 hat sich die Lage fĂŒr beide deutlich geĂ€ndert: Schiller hat gerade mit dem schwĂ€bischen Verleger Cotta die GrĂŒndung einer neuen Literaturzeitschrift, »Die Horen«, vereinbart und will Goethe als prominenten Mitarbeiter gewinnen. Goethe dagegen fĂŒhlt sich literarisch etwas isoliert, fĂŒrchtet auch, den AnsprĂŒchen des Publikums nicht mehr wie frĂŒher entsprechen zu können. So kommt ihm die engere Bekanntschaft mit Schiller gerade recht, da er in ihm einen unerwartet ideenreichen GesprĂ€chspartner findet. Aus dieser Interessenkonstellation erwĂ€chst eine der interessantesten Dichterfreundschaften der deutschen Literatur.

Der bekannte Biograf RĂŒdiger Safranski hat anlĂ€sslich des 250. Geburtstages Schillers eine ausfĂŒhrliche, gut lesbare Darstellung dieser Freundschaft vorgelegt.

RĂŒdiger Safranski: Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft. MĂŒnchen: Hanser, 2009. ISBN: 978-3-446-23326-3. Preis: € 21,50.

November 1918

Alfred Döblin (1878–1957) wird oft nur als Autor eines einzigen Buchs wahrgenommen: Mit »Berlin Alexanderplatz« hatte Döblin 1929 den ersten bedeutenden deutschsprachigen Großstadtroman geliefert, beeinflusst einerseits von James Joyces »Ulysses« und John Dos Passos’ »Manhattan Transfer«, andererseits von ErzĂ€hltechniken der italienischen Futuristen. Die Geschichte des Franz Biberkopf, der nach seiner Entlassung aus dem GefĂ€ngnis versucht, ein »guter Mensch« zu werden, wurde auch mehrfach verfilmt, zuletzt von Rainer Werner Fassbinder als ĂŒber 15-stĂŒndiger TV-Mehrteiler.

Döblin musste 1933 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen und erreichte ĂŒber die Schweiz, Frankreich und Portugal schließlich die USA. In den Jahren des Exils entstand unter schwierigen VerhĂ€ltnissen der umfangreiche Romanzyklus »November 1918«, der auf etwa 2.300 Seiten das Ende des Ersten Weltkriegs und die Zeit des Umbruchs vom deutschen Kaiserreich zur Weimarer Republik beschreibt. Döblin verfolgt in den vier Romanen des Zyklus die Schicksale eines Ensembles, das Figuren von der die politische FĂŒhrung der entstehenden Republik bis hin zum Berliner Proletariat, von der militĂ€rischen FĂŒhrung bis zum versehrten Kriegsheimkehrer, vom unpolitischen Intellektuellen bis zum politischen Agitator umfasst. Die Handlung prĂ€sentiert dabei sowohl konkreten Lebensalltag dieser Umbruchzeit als auch die historische Entwicklungen und politischen Entscheidungen, die diese Zeit geprĂ€gt haben. »November 1918« wurde auf diese Weise ein außergewöhnlich lebendiger und anschaulicher Roman ĂŒber eine der spannendsten Phasen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Alfred Döblin: November 1918. Eine deutsche Revolution. 4 Bde. dtv 59030. ISBN: 978-3-423-59030-3. Preis: € 68,00. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen ĂŒber die Bergisch-Bib entliehen werden.

Die Vereinigung jiddischer Polizisten

Meyer Landsman ist ein alternder, etwas heruntergekommener Beamter der Mordkommission von Sitka in Alaska. Er ist geschieden, hat ein Alkoholproblem und steht außerdem unmittelbar davor, seinen Job zu verlieren. Da wird er eines Tages in dem Hotel, in dem er wohnt und das auch schon bessere Tage gesehen hat, vom Portier gebeten, sich einen anderen Gast anzuschauen, der offensichtlich ermordet worden ist. Er nannte sich Emanuel Lasker, schien drogensĂŒchtig und Schachspieler zu sein. Meyer Landsman nimmt zusammen mit seinem Kollegen Berko Shemets die Untersuchung des Falles auf und entdeckt bald, dass der vorgebliche Lasker in Wirklichkeit Mendel Shpilman hieß und der Sohn eines der einflussreichsten Rabbiner von Sitka war.

SpĂ€testens an dieser Stelle muss die Besonderheit dieses Kriminalromans erwĂ€hnt werden: Autor Michael Chabon lĂ€sst seine Geschichte in einem jĂŒdischen Distrikt in Alaska spielen. Sein Sitka ist seit 60 Jahren von Juden bewohnt und verwaltet worden. Im Gegensatz zu der uns bekannten Weltgeschichte verlĂ€uft die in Chabons Roman deutlich anders: Die US-Amerikaner habe wĂ€hrend des Zweiten Weltkriegs in bedeutendem Umfang jĂŒdische FlĂŒchtlinge aus Europa aufgenommen und in Alaska angesiedelt. Der Staat Israel dagegen ist bereits 1948 im Krieg gegen die Araber wieder untergegangen.  Sitka ist daher das einzige zusammenhĂ€ngende jĂŒdische Siedlungsgebiet. Dort lebt eine Gemeinschaft mit eigener Kultur und Sprache, eigenen Sitten und Gesetzen.

Chabon ist mit dieser alternativen Weltgeschichte ein ganz außergewöhnlicher Wurf gelungen, der aus einem eher traditionellen Kriminalroman ein ĂŒberraschendes Leseabenteuer macht.

Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten. dtv 13793 ISBN: 978-3-423-13793-5. Preis: € 9,90. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen ĂŒber die Bergisch-Bib entliehen werden.

Sturz durch alle Spiegel

Nachdem Max Frisch 1954 mit seinem Roman »Stiller« seinen ersten großen Erfolg feiern konnte, entschloss er sich, als freier Schriftsteller zu leben. Dieser Entschluss war verbunden mit einer radikalen Änderung seines gesamten Lebens: Frisch verkaufte sein ArchitekturbĂŒro und trennte sich von seiner ersten Ehefrau und seiner Familie. ZurĂŒck blieb auch die Ă€lteste Tochter Ursula Frisch (geb. 1943), die nun unter ihrem Ehenamen Priess ein Erinnerungsbuch an ihren Vater veröffentlicht hat.

Der erste Teil des Buches erzĂ€hlt als eine Art von Rahmenhandlung von einem Treffen der Autorin mit einem namenlos bleibenden Mann in Venedig. Sie hat diesen Mann nur einmal zuvor getroffen, als sie ihn bei einer Ausstellungseröffnung kennenlernte. Seitdem hatten die beiden oft und lange miteinander telefoniert; nun trifft man sich endlich wieder und zeigt sich gegenseitig Venedig. Aber es stellt sich bald heraus, dass auch dieser Mann – wie so viele Menschen zuvor – in ihr die Tochter Max Frischs sieht. Er selbst hatte wohl zu der Zeit, als Max Frisch und Ingeborg Bachmann versuchten, ein Paar zu sein, eine intime Bekanntschaft mit Ingeborg Bachmann. Letztlich scheitert das Treffen in Venedig an den Schatten dieser Vergangenheit.

Ursula Priess nimmt diese missglĂŒckte Begegnung zum Anlass, das stets schwierige VerhĂ€ltnis zu ihrem Vater aufzuarbeiten und zu reflektieren. Sie greift dabei auf Aufzeichnungen zurĂŒck, die ĂŒber viele Jahre hinweg entstanden sind. Aus den assoziativ verbundenen Anekdoten ergibt sich kein geschlossenes Bild des berĂŒhmten Autors, sondern es entsteht ein sehr persönliches Erinnerungsbuch an den Vater Max Frisch.

Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel. ZĂŒrich: Amman, 2009. ISBN: 978-3-250-60131-9. Preis: € 18,95.

Buch der Katastrophen

DĂŒsseldorf hat zwei Literaten hervorgebracht, die den Vornamen Harry trugen: Der eine ist unter seinem spĂ€teren christlichen Taufamen berĂŒhmt geworden und lange ein ungeliebter Sohn seiner Heimatstadt geblieben: Heinrich Heine. Die Schriften des anderen stehen seit Jahrzehnten an der Grenze zum Vergessen, schaffen es aber doch immer wieder, im Druck zu bleiben. Die Rede ist von Hermann Harry Schmitz (1880–1913). Schmitz wurde als Sohn eines DĂŒsseldorfer Fabrikdirektors geboren, aber schon als SchĂŒler aus der bĂŒrgerlichen Laufbahn herausgeworfen, als ihn die Tuberkulose zwang, die Schule fĂŒr einen lĂ€ngeren Kuraufenthalt auf Korsika zu verlassen. Von seinem Vater in eine ungeliebte kaufmĂ€nnische Lehre gezwungen, fing Schmitz ab dem Jahr 1906 an, sich als Autor kurzer, satirischer Texte zu etablieren. Die wenigen Jahren, die ihm blieben, verbrachte er als Dandy in seiner Heimatstadt, wo er nicht nur durch seine Satiren und Reisebeschreibungen bekannt war, sondern sich auch als beliebter ConfĂ©rencier einen Namen machte.

Am bekanntesten dĂŒrfte sein »Buch der Katastrophen« sein. In den darin versammelten Texten spielt Schmitz seine StĂ€rke aus, alltĂ€gliche Situationen in bis ins Absurde gesteigerte Katastrophen ausarten zu lassen, so etwa die erste Schwangerschaft im bĂŒrgerlichen Haushalt der Beckers, die von drei Tanten, drei Ammen und den modernen GerĂ€tschaften zur SĂ€uglingspflege in den Wahnsinn getrieben werden. Oder ein prĂ€chtiges Buch, der Stolz einer kleinen Familie, das verliehen wird und auf diesem Weg die ganze Familie ins UnglĂŒck stĂŒrzt. Eine hoch amĂŒsante LektĂŒre fĂŒr Freunde des absurden Humors.

Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Insel Taschenbuch 3186. ISBN: 978-3-458-34886-3. Preis: € 7,50.

Tante Julia und der Kunstschreiber

Mario Vargas Llosa (geb. 1936) ist einer der populĂ€rsten Vertreter der sĂŒdamerikanischen Literatur. Schon als SchĂŒler begann der Peruaner zu schreiben, arbeitete als freier Journalist fĂŒr lokale Zeitungen und brachte ein erstes TheaterstĂŒck auf die BĂŒhne. Mit dem Roman »Die Stadt und die Hunde« hatte er 1962 seinen Durchbruch als Schriftsteller. Ab den 80-er Jahren wandte sich Vargas Llosa verstĂ€rkt der Politik zu, was 1990 in seiner Kandidatur fĂŒr das PrĂ€sidentenamt Perus gipfelte. Er verlor damals die Stichwahl gegen Alberto Fujimori, der im Jahr 2000 wegen KorruptionsvorwĂŒrfen sein Amt rĂ€umen musste.

»Tante Julia und der Kunstschreiber« (1977) ist wahrscheinlich der humoristischste Roman Vargas Llosas. Sein Held, der 18-jĂ€hrige Marito, der fĂŒr einen kleinen Rundfunksender in Lima arbeitet, lernt am selben Tag zwei neue Menschen kennen: Seine geschiedene Tante Julia, in die er sich sofort haltlos verliebt, und den Autor Pedro Camacho, der fĂŒr den Rundfunksender Radio-Novellas schreibt. Das Buch erzĂ€hlt in einander abwechselnden Kapiteln einerseits die verwickelte Liebesgeschichte Julias und Maritos, der seine 14 Jahre Ă€ltere Tante unbedingt heiraten will, und andererseits AuszĂŒge aus den diversen Radio-Novellas Pedros. WĂ€hrend Marito immer verzweifelter versucht, eine Person zu finden, die bereit ist, ihn mit Julia auch ohne Genehmigung von Maritos Eltern zu verheiraten, verirrt sich Pedro langsam aber sicher in seinen eigenen Geschichten, die er unter hohem Zeitdruck schreibt und die er, je lĂ€nger sie werden, kaum noch auseinanderhalten kann. Beide ErzĂ€hlstrĂ€nge drohen, unaufhaltsam ins Chaos abzugleiten …

Mario Vargas Llosa: Tante Julia und der Kunstschreiber. Suhrkamp Taschenbuch 1520. ISBN: 978-3-518-38020-8. Preis: € 10,00.

Denken wir uns

Der große deutsche Humorist Robert Gernhardt (1937–2006) war als Maler und Autor eine echte Doppelbegabung und auf diese Weise ein wĂŒrdiger Nachfolger Wilhelm Buschs. Er wurde in Tallinn, Estland, als Sohn eines Richters geboren, der 1945 fiel. Die Mutter floh mit ihren drei Söhnen in den Westen und ließ sich 1946 in Göttingen nieder. Robert Gernhardt besuchte nach Abschluss der Schule die Akademien in Stuttgart und Berlin und studierte dort Malerei. Ab dem Jahr 1964 lebte er als Maler, Karikaturist und Schriftsteller in Frankfurt am Main. Er arbeitete fĂŒr die Satirezeitschrift »Pardon« und spĂ€ter auch fĂŒr die  »Titanic«. Er war MitbegrĂŒnder und einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Neuen Frankfurter Schule.

Als Schriftsteller hat Gernhardt sowohl ein breites lyrisches als auch umfangreiches erzÀhlerisches und essayistisches Werk geschaffen. In seiner humoristischen Lyrik verbindet sich oft sein zeichnerisches Talent mit seiner Neigung zum absurden Kurzgedicht.

Der ErzĂ€hlband »Denken wir uns« erschien 2007 posthum als das letzte Buch, das Gernhardt noch selbst zusammengestellt hatte. Es enthĂ€lt noch einmal eine breite Auswahl der Gernhardtschen ErzĂ€hlkunst, von der absurden Anekdote bis zur historischen ErzĂ€hlung, vom Essay bis zum metaphysisch-humoristschen Gedankenspiel. Die 26 StĂŒcke werden eher locker dadurch verbunden, dass sie alle mit der Phrase »Denken wir uns« beginnen. Der schmale Band bietet eine gute Gelegenheit, die ganze Vielfalt des Gernhardtschen ErzĂ€hlens Revue passieren zu lassen. Ein immer heiteres, gelegentlich aber auch nachdenklich stimmendes BĂŒchlein.

Robert Gernhardt: Denken wir uns. Fischer Taschenbuch 17671. ISBN: 978-3-596-17671-7. Preis: € 9,95.

Die Haut

Curzio Malaparte (1898–1957, bĂŒrgerlich Kurt Erich Suckert) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei Romane weit ĂŒber die Grenzen Italiens hinaus berĂŒhmt, die die schlagkrĂ€ftigen Titel »Kaputt« und »Die Haut« tragen. Malaparte ist eine der schillerndsten Figuren der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sohn eines Sachsen und einer MailĂ€nderin, in der Toskana geboren, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg AttachĂ© in Warschau, ein frĂŒher AnhĂ€nger der italienischen Faschisten, aber zugleich auch einer ihrer Kritiker. Er wurde aus dem diplomatischen Dienst entlassen, arbeitete bis 1931 als Chefredakteur der Tageszeitung La Stampa. 1933 wurde er wegen kritischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen und auf die kleine Insel Lipari, nördlich von Sizilien, verbannt. Doch Malaparte kehrte bald aus der Verbannung zurĂŒck und arbeitet als Kriegsberichterstatter in Nordafrika, auf dem Balkan, in Russland und Finnland.

In »Die Haut« erzĂ€hlt Malaparte als Ich-ErzĂ€hler von der Befreiung Italiens durch US-amerikanische Truppen. Es handelt sich dabei weniger um einen Roman im traditionellen Sinne, sondern mehr um eine journalistische Sammlung von Erlebnissen und EindrĂŒcken, die sich zu einem Gesamtbild runden. Die ErzĂ€hlung beginnt 1943 in Neapel und endet 1945 in Norditalien. Das erste Drittel des Buches ist dabei Neapel gewidmet und schildert eindrucksvoll, wie die traditionelle Volkskultur Neapels durch Elend, Hunger, Tod und nicht zuletzt auch durch die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern verĂ€ndert und zerstört wird. Malaparte bewĂ€hrt sich als moralischer, unbestechlicher, zugleich aber auch sentimentaler Beobachter.

Curzio Malaparte: Die Haut. Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Fischer Taschenbuch 17411. ISBN: 978-3-596-17411-9. Preis: € 12,95.

Mutmassungen ĂŒber Jakob

Am 20. Juli 2009 wĂ€re der Schriftsteller Uwe Johnson 75 Jahre alt geworden, wenn er nicht schon gut 25 Jahre zuvor an den Folgen seiner Alkoholsucht gestorben wĂ€re. Sein vierbĂ€ndiger Roman »Jahretage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl« ist heute schon ein Klassiker der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und einige seiner BĂŒcher haben es sogar bis in den Kanon der SchullektĂŒre geschafft; an prominenter Stelle seine »Mutmassungen ĂŒber Jakob«, die schon durch das fehlende Â»ĂŸÂ« im Titel auffallen. Dieser Buchstabe fehlt auch sonst im ganzen Buch, und was die meisten Leser zusĂ€tzlich verstört, ist die eigenwillige Zeichensetzung Johnsons.

Die »Mutmassungen« sind ein guter Einstieg in die literarische Welt Uwe Johnsons, denn sie sind eine Art von Vorspiel zu den »Jahrestagen«. ErzĂ€hlt wird die Geschichte von Jakob Abs, Beamter der Reichsbahn, der im Herbst 1956 im Alter von nur 28 Jahren von einer Lokomotive ĂŒberfahren wird. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um einen Unfall, Selbstmord oder vielleicht sogar um einen politisch motivierten Mord handelt. Jakob ist der Geliebte Gesine Cresspahls, die 1956 bereits in den Westen geflĂŒchtet ist und dort fĂŒr die NATO arbeitet. Auch seine Mutter lebt in der BRD, wĂ€hrend Jakob in der DDR versucht, ein unpolitisches Leben zu fĂŒhren, was ihm aber nicht gelingen kann. Aufgrund seiner Verbindungen in die BRD steht er unter stĂ€ndiger Beobachtung der MilitĂ€rischen Spionageabwehr der DDR, deren Ziel es ist, Gesine als Spionin anzuwerben. Als Jakob zu Gesine in den Westen fĂ€hrt, kehrt er nach nur wenigen Tagen in die DDR zurĂŒck. Noch am selben Abend geht er wie immer quer ĂŒber die Gleise …

Uwe Johnson: Mutmassungen ĂŒber Jakob. Suhrkamp Taschenbuch 3128. ISBN: 978-3-518-39628-5. Preis: € 9,50.