Novemberkind

Inga Kaden (Anna Maria Mühe) lebt als Bibliothekarin in dem kleinen Ort Malchow in Mecklenburg-Vorpommern. Die junge Frau ist bei ihren Großeltern aufgewachsen und hat ihre Eltern nie kennengelernt: Ihre Mutter sei in der Ostsee ertrunken; ihren Vater kenne nicht einmal die beste Freundin ihrer Mutter. All das gerät ins Wanken, als eines Tages ein Fremder (Ulrich Matthes) in ihrer kleinen Bibliothek erscheint. Es handelt sich um einen Konstanzer Professor für Kreatives Schreiben. Robert erzählt Inga die Geschichte einer jungen Frau, die eines Tages in einem seiner Seminare gesessen und von einer Flucht aus der DDR berichtet habe, bei der sie ungewollt ihr Kind habe zurücklassen müssen.

Inga weiß sofort, dass es sich bei der Frau um ihre Mutter gehandelt haben muss. Sie stellt ihre Großeltern zur Rede, kann aber auch von ihnen nichts Genaueres erfahren. So macht sie sich zusammen mit Robert auf die Suche: zuerst nach dem russischen Soldaten, mit dem zusammen ihre Mutter in den Westen geflohen ist, dann auch nach ihrer Mutter, die immer noch in Konstanz zu leben scheint, verheiratet mit einem Jugendfreund, der wohl auch Annas Vater ist. Doch in Konstanz erwartet sie mehr als eine Enttäuschung …

»Novemberkind« erzählt eine überraschend vielschichtige deutsch-deutsche Geschichte und kommt dabei ganz ohne bekannte Klischees und abgenutzte Vorurteile aus. Besonders Anna Maria Mühe glänzt in ihrer Doppelrolle als Mutter und Tochter.

»Novemberkind«. Deutschland, 2008. 1 DVD, Schwarzweiß Filmverleih. Sprache: Deutsch. Länge: ca. 95 Minuten. Extras: Audiokommentar von Regisseur und U. Matthes; Making-of; geschnittene Szenen u.a. FSK: ab 12 Jahren. Preis: ca. € 18,–.

Mutmassungen über Jakob

Am 20. Juli 2009 wäre der Schriftsteller Uwe Johnson 75 Jahre alt geworden, wenn er nicht schon gut 25 Jahre zuvor an den Folgen seiner Alkoholsucht gestorben wäre. Sein vierbändiger Roman »Jahretage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl« ist heute schon ein Klassiker der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und einige seiner Bücher haben es sogar bis in den Kanon der Schullektüre geschafft; an prominenter Stelle seine »Mutmassungen über Jakob«, die schon durch das fehlende »ß« im Titel auffallen. Dieser Buchstabe fehlt auch sonst im ganzen Buch, und was die meisten Leser zusätzlich verstört, ist die eigenwillige Zeichensetzung Johnsons.

Die »Mutmassungen« sind ein guter Einstieg in die literarische Welt Uwe Johnsons, denn sie sind eine Art von Vorspiel zu den »Jahrestagen«. Erzählt wird die Geschichte von Jakob Abs, Beamter der Reichsbahn, der im Herbst 1956 im Alter von nur 28 Jahren von einer Lokomotive überfahren wird. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um einen Unfall, Selbstmord oder vielleicht sogar um einen politisch motivierten Mord handelt. Jakob ist der Geliebte Gesine Cresspahls, die 1956 bereits in den Westen geflüchtet ist und dort für die NATO arbeitet. Auch seine Mutter lebt in der BRD, während Jakob in der DDR versucht, ein unpolitisches Leben zu führen, was ihm aber nicht gelingen kann. Aufgrund seiner Verbindungen in die BRD steht er unter ständiger Beobachtung der Militärischen Spionageabwehr der DDR, deren Ziel es ist, Gesine als Spionin anzuwerben. Als Jakob zu Gesine in den Westen fährt, kehrt er nach nur wenigen Tagen in die DDR zurück. Noch am selben Abend geht er wie immer quer über die Gleise …

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob. Suhrkamp Taschenbuch 3128. ISBN: 978-3-518-39628-5. Preis: € 9,50.