Sherlock Holmes

Als Arthur Conan Doyle 1887 seinen ersten Sherlock-Holmes-Roman »Eine Studie in Scharlachrot« veröffentlichte, ahnte er wohl kaum, dass er mit Holmes eines der wichtigsten Muster für ein ganzes Literatur-Genre des 20. Jahrhunderts liefern würde: den analytischen Detektiv.

Nun hat sich aufgrund der zahlreichen Verfilmungen der Holmes-Erzählungen und -Romane bei den meisten Lesern ein typisches Bild des Londoner Privat-Ermittlers herausgebildet: Holmes als gediegene, etwas ältere Erscheinung, gekleidet in karierten Tweed, mit einer ebensolchen Jagdkappe und einer stets brennenden Pfeife. Der aufmerksame Leser der Bücher weiß aber, dass es sich bei Holmes um einen durchaus sportlichen Mann handelt, der eine Neigung zum Drogenkonsum hat, das Geigenspiel mehr liebt als wirklich beherrscht und wohl eher als Außenseiter der guten Gesellschaft anzusehen ist. Auch von seinem Begleiter Dr. Watson haben die meisten eine recht falsche Vorstellung.

Schon von daher ist es sehenswert, wie der britische Regisseur Guy Ritchie die Holmes-Figur aufpoliert: Sein Holmes (Robert Downey jr.) ist schnell, athletisch, ein Faust-Kämpfer von großem Geschick und zugleich ein Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn. Und auch Dr. Watson (Jude Law) wird deutlich verjüngt. In ihm erkennt man erstmals Doyles Afghanistan-Veteranen, der dabei ist, sich wieder in seiner Heimat zu etablieren. Ein flotter und witziger Film, der das London des späten 19. Jahrhunderts noch einmal in all seiner Modernität und Faszination erstehen lässt.

»Sherlock Holmes«. USA, 2009. 1 DVD, Warner Brothers. Sprache: Deutsch, Englisch. Länge: ca. 123 Minuten. Extras: »Der moderne Sherlock Holmes«. FSK: ab 12 Jahren. Preis: ca. € 6,–.

In the Electric Mist

Inspektor Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones) untersucht den Mord an einer jungen Prostituierten, deren Leiche verstümmelt in den Sümpfen von Louisiana entdeckt worden ist. Sein Verdacht fällt sehr rasch auf Julie ›Baby Feet‹ Balboni (John Goodman), einen einflussreichen Kriminellen, der versucht sein Renommee zu verbessern, in dem er ins Filmgeschäft eingestiegen ist. Er finanziert daher einen Film, der während des amerikanischen Bürgerkriegs spielt. Zu selben Zeit lernt Robicheaux eher zufällig die beiden Hauptdarsteller dieses Filmes kennen: Elrod Sykes (Peter Sarsgaard) und Kelly Drummond (Kelly Macdonald). Elrod erzählt Robicheaux, dass er während des Drehens im Sumpf den Leichnam eines Schwarzen, wahrscheinlich eines Sklaven entdeckt hat. Als er das Skelett untersucht, wird Robicheaux klar, dass er als Kind Zeuge der Ermordung dieses Mannes geworden ist. Damals hat ihm niemand glauben wollen, und die Polizei hat sich um den Fall nicht weiter gekümmert. Als kurz darauf versucht wird, Robicheaux zu ermorden, wird ihm klar, dass er der Lösung zumindest eines dieser Fälle näher sein muss, als er ahnt …

Der französische Regisseur Bertrand Tavernier hat nach der Romanvorlage von James Lee Burke einen atmosphärisch außergewöhnlich dichten Film gedreht, in dem es ausnahmsweise mehr um die Charaktere als um die Aufklärung des Verbrechens geht. Vor dem Hintergrund des vom Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans ist ein originelles Porträt des Südens der USA entstanden.

»In the Electric Mist«. USA/Frankreich, 2009. 1 DVD, Koch Media. Sprachen: Deutsch, Englisch. Länge: ca. 112 Minuten. Extras: Making-of; geschnittene Szenen. FSK: ab 16 Jahren. Preis: ca. € 13,–.

Verbrechen

Es kommt nicht häufig vor, dass ein Autor gleich mit seinem ersten Buch nicht nur einen Bestseller landet, sondern damit zugleich auch mit einem eigenen, markanten Stil an die Öffentlichkeit tritt. Ferdinand von Schirach (geb. 1964) ist hauptberuflich als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin tätig und hat mit »Verbrechen« seinen ersten Band mit Erzählungen vorgelegt. Er enthält elf Kriminalfälle, die stets distanziert und sachlich aus der Sicht eines Strafverteidigers erzählt werden. Und diese Fälle haben es in sich:

Da wird zum Beispiel von dem Unbekannten erzählt, der auf einem Berliner Bahnhof von zwei Skinheads belästigt wird. Sie gehen allerdings mit ihrer Provokation einen entscheidenden Schritt zu weit – nur eine Minuten später liegen beide tot auf dem Bahnsteig, während der Unbekannte gelassen auf seine Verhaftung wartet. Da eindeutig in Fall von Notwehr vorliegt, muss die Polizei den Mann schließlich auf freien Fuß setzen, ohne sein Geheimnis lüften zu können. In der ganzen Erzählung sagt der Täter kein einziges Wort, auch nicht zu seinem Anwalt.

Oder es wird die Geschichte der drei Berliner Kleinkriminellen erzählt, die sich für einen Einbruch das falsche Opfer aussuchen und sich am Ende glücklich schätzen können, mit dem Leben davonzukommen.

Oder die Geschichte von Karim, der in seiner Familie als etwas zurückgeblieben angesehen wird, aber ein erfolgreiches Doppelleben führt und sich als schlauer erweist als der Apparat der Justiz.

Alle Fälle schildert von Schirach in einem einfachen, glasklaren und trainierten Stil. Die besten dieser Erzählungen enthalten keinen Satz, ja, kein Wort zu viel. Unbedingt lesenswert!

Ferdinand von Schirach: Verbrechen. München: Piper, 2009. ISBN: 978-3-492-05362-4. Preis: € 16,95.

Die Vereinigung jiddischer Polizisten

Meyer Landsman ist ein alternder, etwas heruntergekommener Beamter der Mordkommission von Sitka in Alaska. Er ist geschieden, hat ein Alkoholproblem und steht außerdem unmittelbar davor, seinen Job zu verlieren. Da wird er eines Tages in dem Hotel, in dem er wohnt und das auch schon bessere Tage gesehen hat, vom Portier gebeten, sich einen anderen Gast anzuschauen, der offensichtlich ermordet worden ist. Er nannte sich Emanuel Lasker, schien drogensüchtig und Schachspieler zu sein. Meyer Landsman nimmt zusammen mit seinem Kollegen Berko Shemets die Untersuchung des Falles auf und entdeckt bald, dass der vorgebliche Lasker in Wirklichkeit Mendel Shpilman hieß und der Sohn eines der einflussreichsten Rabbiner von Sitka war.

Spätestens an dieser Stelle muss die Besonderheit dieses Kriminalromans erwähnt werden: Autor Michael Chabon lässt seine Geschichte in einem jüdischen Distrikt in Alaska spielen. Sein Sitka ist seit 60 Jahren von Juden bewohnt und verwaltet worden. Im Gegensatz zu der uns bekannten Weltgeschichte verläuft die in Chabons Roman deutlich anders: Die US-Amerikaner habe während des Zweiten Weltkriegs in bedeutendem Umfang jüdische Flüchtlinge aus Europa aufgenommen und in Alaska angesiedelt. Der Staat Israel dagegen ist bereits 1948 im Krieg gegen die Araber wieder untergegangen.  Sitka ist daher das einzige zusammenhängende jüdische Siedlungsgebiet. Dort lebt eine Gemeinschaft mit eigener Kultur und Sprache, eigenen Sitten und Gesetzen.

Chabon ist mit dieser alternativen Weltgeschichte ein ganz außergewöhnlicher Wurf gelungen, der aus einem eher traditionellen Kriminalroman ein überraschendes Leseabenteuer macht.

Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten. dtv 13793 ISBN: 978-3-423-13793-5. Preis: € 9,90. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen über die Bergisch-Bib entliehen werden.

Blindband

John Ryder ist ein junger Mann, der seine nervenaufreibende Arbeit als Börsenmakler hinter sich lassen will und deshalb eine ganz andere Tätigkeit sucht. Daher bewirbt er sich auf eine Anzeige des berühmten Schriftstellers Paul Reader, der einen Assistenten sucht. Als er in dem entlegenen Haus des Schriftstellers ankommt, erwartet ihn eine Überraschung: Paul Reader hat bei einem Unfall vor vier Jahren nicht nur entstellende Verbrennungen erlitten, sondern auch beide Augen verloren. Deshalb ist in den letzten Jahren auch kein Buch mehr von ihm erschienen. Aber nun hat er sich entschlossen, noch ein einziges weiteres Buch zu schreiben; es soll ein autobiografischer Roman werden, aber er braucht jemanden, dem er das Buch diktieren kann.

John Ryder erweist sich gleich beim ersten Gespräch als guter Kandidat; da er außerdem bereit ist, an fünf Tagen der Woche im Haus des Autors zu wohnen, versuchen es die beiden mit der Zusammenarbeit. Ryder macht sich schon bald nützlich: Er beschafft einen Laptop, tippt geduldig nach Diktat, kocht, wenn die Haushälterin ausfällt und hält den oft missgelaunten Schriftsteller bei Stimmung. Doch recht bald wird dem Leser klar, dass John Ryder mehr mit diesem Schriftsteller verbindet, als seine anscheinend harmlose Tätigkeit …

Gilbert Adair hat mit »Blindband« einen inhaltlich eher konventionellen Krimi geschrieben, dessen Reiz in der Hauptsache darin besteht, dass er nahezu ausschließlich als Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren erzählt wird. So gerät der Leser von Beginn an in eine ganz ähnliche Situation wie der blinde Schriftsteller: Auch ihm fehlt der Überblick, und er muss ganz dem vertrauen, was er zu hören bekommt.

Gilbert Adair: Blindband. München: C.H. Beck, 2008. ISBN: 978-3-406-57225-8.

Die Morde in der Rue Morgue

Am 19. Januar vor 200 Jahren wurde in Boston einer der großen amerikanischen Schriftsteller geboren: Edgar Allan Poe gilt heute zu Recht als Meister des Grusel- und Horror-Genres. Aber nicht nur auf diesem Gebiet hat er sich unsterblichen Ruhm erworben, er ist auch der Erfinder einer literarischen Figur, die in unzählbaren Variationen in Literatur und Film Karriere gemacht hat: des analytische Detektivs.

In seiner 1841 erschienenen Erzählung »Die Morde in der Rue Morgue« berichtet der Erzähler von einer Begegnung mit einem außergewöhnlichen Mann: C. Auguste Dupin entstammt einer berühmten, aber verarmten Pariser Familie und lebt ein zurückgezogenes Leben. Er ist sehr belesen und zeichnet sich nicht nur durch eine ungewöhnlich feine Beobachtungsgabe aus, sondern auch durch die Fähigkeit, aus winzigen, unscheinbaren Details rasch und sicher Schlüsse zu ziehen. Als Dupin eines Tages in der Zeitung von einem Doppelmord liest, der die Polizei vor ein Rätsel stellt, bewähren sich seine Gaben. Die Morde an zwei Frauen, Mutter und Tochter, waren auf bestialische Weise in einem von innen verschlossenen Zimmer begangen worden. Auf den ersten Blick scheint es dem Mörder unmöglich gewesen zu sein, nach der Tat aus dem Zimmer zu entkommen, und dennoch fehlt von ihm jede Spur. An diesem Rätsel stellt Dupin nun seinen außergewöhnlichen analytischen Verstand unter Beweis. Allein aufgrund der Lektüre einiger Zeitungsmeldungen und einer Besichtigung des Tatorts ist er in der Lage, den Täter zu ermitteln. C. Auguste Dupin und sein englischer Nachfolger Sherlock Holmes sind die Urväter aller Detektive des 20. und 21. Jahrhunderts.

Edgar Allan Poe: Detektivgeschichten. dtv 13725. ISBN: 978-3-423-13725-6.