Der ganze »Faust«

Bei Johann Wolfgangs von Goethes »Faust. Eine Tragödie« handelt es sich wohl um eines der außergewöhnlichsten Werke der deutschen Literatur. Nicht nur ist es mit zahlreichen Zitaten in den deutschen Volksmund eingegangen, es gilt – zumindest mit seinem ersten Teil – weltweit als eines der repräsentativen Theaterstücke deutscher Kultur. Doch so bekannt der erste Teil der Tragödie sein dürfte, so unbekannt, um nicht zu sagen ungeliebt dürfte der zweite Teil des monumentalen Werks sein, von dem auch Goethe bewusst war, dass er nur noch der äußeren Form nach ein Theaterstück ist, seinem Wesen nach aber ein großer Essay über Gott und die Welt.

Goethe hat am »Faust« über eine Zeitspanne von mindestens 58 Jahren hinweg gearbeitet. Bereits als er im November 1775 zum ersten Mal in Weimar eintraf, hatte er eine fragmentarische Fassung des ersten Teils bei sich. Den zweiten Teil schließt der 82-Jährige erst wenige Wochen vor seinem Tod ab.

Der deutsche Theater-Regisseur Peter Stein hat es zur Expo 2000 in Hannover unternommen, den gesamten Text Goethes in einer geschlossenen, mehr als 21 Stunden umfassenden Inszenierung mit hervorragenden Schauspielern (darunter Bruno Ganz als Faust) auf die Bühne zu bringen. In Zusammenarbeit mit dem ZDF ist daraus auch eine Fernseh-Inszenierung entstanden, die dieses wahrscheinlich einmalig bleibende Theater-Projekt auch jenen zugänglich macht, die es nicht live erleben konnten. Das Nacherleben daheim hat den unschätzbaren Vorteil, dass der Zuschauer sich den Genuss nach seinen eigenen Bedürfnissen einteilen kann, sich also die Vorzüge von Theater und Lektüre miteinander verbinden.

»Faust«. D, 2005. 4 DVDs, Bel Air. Sprache: Deutsch. Länge: ca. 814 Minuten. Extras: Dokumentation »Faust Probenzeit«. Ohne FSK-Angabe. Preis: ca. € 36,–.

Das Dschungelbuch

Am 18. Januar vor 75 Jahren starb der Literatur-Nobelpreis-Träger Rudyard Kipling in London an den Folgen einer Operation eines Magengeschwürs. Er hatte 1907 als erster englischsprachiger Autor den Nobelpreis für Literatur erhalten, war aber auch schon zuvor ein weit über die englischsprachige Welt berühmter Autor. Er wurde 1865 im Bombay als Kind britischer Eltern geboren. Mit fünf Jahren wurde er, wie es unter vornehmen Engländern in Indien üblich war, zur Erziehung nach England geschickt und kehrte erst 1882 nach Indien zurück, wo er bei einer kleinen Zeitung als Journalist zu arbeiten begann, in der dann auch Kiplings erste Erzählungen abgedruckt wurden.

Als 1894 das erste »Dschungelbuch« erschien (der zweite Teil folgte ein Jahr später), lebte Kipling gerade eine Zeit lang in den USA und war bereits ein recht bekannter Autor. Im Gegensatz zu der allgemeinen Vorstellung, die durch Walt Disneys Verfilmung (1967) geprägt ist, handelt es sich beim »Dschungelbuch« nicht um einen Roman, sondern um eine Reihe von Erzählungen, von denen nur einige wenige die Geschichte vom Waisenkind Mowgli erzählen. In allen Geschichten stehen aber Tiere und ihr Verhältnis zum Menschen und seiner Welt im Mittelpunkt.

Die beiden »Dschungelbücher« sind Kiplings erfolgreichste Veröffentlichungen geworden. Kipling selbst hat zu seinen Geschichten gesagt, sie enthielten alles, was er über den indischen Dschungel je gewusst, gehört oder geträumt habe. Und obwohl sie inzwischen eher als Kinderbücher gelten, lohnt es sich auch für Erwachsene einmal in diese Klassiker der englischen Literatur hineinzuschauen.

Rudyard Kipling: Das Dschungelbuch. Aus dem Englischen von Erika Engelmann. Insel Taschenbuch 3169. ISBN: 978-3-458-34869-6. Preis: € 7,00.

Robinson Crusoe

Wann genau Daniel Defoe geboren wurde, weiß heute keiner mehr, aber es wird vor etwa 350 Jahren in London gewesen sein. An der Wiege hat man ihm nicht gesungen, dass er einst ein weltberühmter Autor werden würde. Defoe, der nach dem Willen des Vaters Geistlicher hätte werden sollen, schlug erst einmal eine Kaufmannskarriere ein. Nach einem großen Bankrott schlug er sich als Essayist und Journalist durch, bis im Jahr 1719 – Defoe war bereits 59 Jahre alt – sein erster Roman erschien, der zugleich der erste englische Roman im modernen Sinne war: Robinson Crusoe.

Die allermeisten Leser kennen von diesem Buch nur den ersten Teil, in dessen Zentrum die 28 Jahre stehen, die Robinson mehr oder weniger allein auf einer Insel verbringt. Nicht so bekannt dürfte hierzulande sein, dass Defoe dem Inselabenteuer einen zweiten Band folgen ließ, in dem Robinson nicht nur als reicher Mann zu seiner Insel zurückkehrt und dort ordnend in einen von Engländern und Spaniern gegründeten Staat eingreift, sondern auch zahlreiche weitere Abenteuer in China, Indien, Persien und Russland erlebt. Defoe hat sogar noch einen dritten Band folgen lassen, der Essays enthält, die vorgeblich aus der Feder Robinsons stammen.

Doch allein schon mit dem Insel-Abenteuer des Robinson Crusoe ist es Defoe gelungen, ein Roman-Genre zu begründen, das sich bis heute ungebrochener Beliebtheit erfreut. Noch immer ist es eine der großen Herausforderungen für den Menschen, ob es ihm – und sei es auch nur in der Phantasie – gelingt, auf sich gestellt und nur mit spartanischen Mitteln ausgerüstet vor der Natur zu bestehen.

Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Erster u. zweiter Teil. Deutsch v. Lore Krüger. Aufbau Taschenbuch 2612. ISBN: 978-3-7466-2612-3. Preis: € 11,95.

Die Morde in der Rue Morgue

Am 19. Januar vor 200 Jahren wurde in Boston einer der großen amerikanischen Schriftsteller geboren: Edgar Allan Poe gilt heute zu Recht als Meister des Grusel- und Horror-Genres. Aber nicht nur auf diesem Gebiet hat er sich unsterblichen Ruhm erworben, er ist auch der Erfinder einer literarischen Figur, die in unzählbaren Variationen in Literatur und Film Karriere gemacht hat: des analytische Detektivs.

In seiner 1841 erschienenen Erzählung »Die Morde in der Rue Morgue« berichtet der Erzähler von einer Begegnung mit einem außergewöhnlichen Mann: C. Auguste Dupin entstammt einer berühmten, aber verarmten Pariser Familie und lebt ein zurückgezogenes Leben. Er ist sehr belesen und zeichnet sich nicht nur durch eine ungewöhnlich feine Beobachtungsgabe aus, sondern auch durch die Fähigkeit, aus winzigen, unscheinbaren Details rasch und sicher Schlüsse zu ziehen. Als Dupin eines Tages in der Zeitung von einem Doppelmord liest, der die Polizei vor ein Rätsel stellt, bewähren sich seine Gaben. Die Morde an zwei Frauen, Mutter und Tochter, waren auf bestialische Weise in einem von innen verschlossenen Zimmer begangen worden. Auf den ersten Blick scheint es dem Mörder unmöglich gewesen zu sein, nach der Tat aus dem Zimmer zu entkommen, und dennoch fehlt von ihm jede Spur. An diesem Rätsel stellt Dupin nun seinen außergewöhnlichen analytischen Verstand unter Beweis. Allein aufgrund der Lektüre einiger Zeitungsmeldungen und einer Besichtigung des Tatorts ist er in der Lage, den Täter zu ermitteln. C. Auguste Dupin und sein englischer Nachfolger Sherlock Holmes sind die Urväter aller Detektive des 20. und 21. Jahrhunderts.

Edgar Allan Poe: Detektivgeschichten. dtv 13725. ISBN: 978-3-423-13725-6.