Kein Ort. Nirgends

Erfundene Gespräche zwischen Personen, die einander nie begegnet sind, haben eine lange literarische Tradition. Bereits der spätantike Dichter Lukian von Samosata (ca. 120–180) lieferte mit seinen »Totengesprächen«, deren Einfall wohl direkt auf die Homerische »Odyssee« zurückgeht, eine viele Jahrhunderte lang wirksame Vorlage. Selbst im 20. Jahrhundert finden sich noch zahlreiche Beispiele, wenn auch nicht immer als Gespräche nach dem Tod ausgeführt.

Eines der Beispiele ist Christa Wolfs Erzählung »Kein Ort. Nirgends«, in der sie eine Begegnung zwischen der Schriftstellerin Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist erfindet, die in Wirklichkeit niemals stattgefunden hat. Wolf bringt dazu im Juni 1804 im kleinen Ort Winkel am Rhein im Sommerhaus der Frankfurter Familie Brentano eine illustre Gesellschaft zusammen: Unter anderen sind der romantische Schriftsteller Clemens Brentano zusammen mit seiner Frau Sophie und seinen Schwestern Bettine und Gunda anwesend, der Jurist Friedrich Carl von Savigny mit Frau und der Wissenschaftler Christian von Esenbeck. In dieser Gesellschaft fühlen sich sowohl Karoline von Günderrode als auch Heinrich von Kleist als Außenseiter. Sie nutzen deshalb bald die Gelegenheit, sich auf einem Spaziergang von den anderen abzusetzen und ein Gespräch zu führen, in dem beider Missverhältnis zu der sie umgebenden Welt Thema ist.

Christa Wolf hat mit »Kein Ort. Nirgends« (was übrigens die Eindeutschung des Wortes »Utopie« ist) nicht nur zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten zusammengebracht, sondern auch eine Allegorie der Einsamkeit des Schriftstellers in einer Diktatur geschaffen.

Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends. Suhrkamp BasisBibliothek 75. ISBN: 978-3-518-18875-0. Preis: € 7,00. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen über die Bergisch-Bib entliehen werden.

Arthur Gordon Pym

Edgar Allan Poe (1809–1849) war unter den ersten amerikanischen Schriftstellern, die versucht haben, vom Schreiben zu leben. Er arbeitete für die damals neu entstehenden Magazine, die damals aufgrund von Fortschritten in der Drucktechnik und den verbesserten Vertriebsmöglichkeiten durch die Eisenbahn in großer Zahl gegründet wurden. Diese Magazine kamen dem schriftstellerischen Talent Poes entgegen, da er ein Meister sowohl des Gedichts als auch der kurzen Erzählung war. Doch konnte man als Zeitungsschreiber und -redakteur nur wenig überregionalen Ruhm erwerben. Deshalb entschloss sich Poe, einen Roman zu schreiben, und er legte es mit Konsequenz auf einen Bestseller an.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich sowohl Romane als auch Sachbücher, die von den Abenteuern der Seefahrt handelten, großer Beliebtheit. Und so schickt auch Poe seinen Helden Arthur Gordon Pym auf eine Seereise, die ihn nach einer Reihe von nahezu unglaublichen Abenteuern und Entbehrungen – Meuterei, Schiffsbruch, wochenlanges Treiben auf hoher See – endlich in die damals noch weitgehend unerforschten Gebiete der Antarktis verschlägt. Dort entdeckt man auf der Insel Tsalal einen Volksstamm, der noch in steinzeitlichen Verhältnissen lebt. Obwohl diese ›Wilden‹ zuerst freundlich scheinen, greifen sie ihre Entdecker schließlich an und zerstören ihr Schiff. Nur Pym kann mit einem Kameraden entkommen und treibt nun in einem kleinen Boot immer weiter dem Südpol zu …

Poes einziger Roman ist mit seiner überbordenen und exaltierten Phantasie bis heute eines der bedeutenden Muster der Abenteuer- und phantastischen Literatur geblieben.

Edgar Allan Poe: Der Bericht des Arthur Gordon Pym. Insel Taschenbuch 1449. ISBN: 978-3-458-33149-0. Preis: € 9,00. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen als Hörbuch und auf CD-ROM entliehen werden.

Der Meister und Margarita

Habent sua fata libelli – Bücher haben ihre eigenen Schicksale. Dieses Zitat gilt auch für den letzten Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow (1891–1940). Bulgakow war ursprünglich Arzt und durchlebte den Russischen Bürgerkrieg auf wechselnden Seiten. Nach dem Bürgerkrieg etablierte er sich in Moskau als Schriftsteller und Journalist und schrieb zahlreiche erfolgreiche Theaterstücke, Erzählungen, Romane und Reportagen. Bulgakows Status als Autor war immer wieder von politischer Seite gefährdet, seine Werke wurden zeitweise verboten oder beschlagnahmt. 1930 wandte sich Bulgakow sogar direkt an Stalin, um als Autor weiterarbeiten zu können.

Die ersten Ideen zu »Der Meister und Margarita« hatte Bulgakow bereits, als er 1921 nach Moskau kam. Die letzten Seiten diktierte er seiner Frau vom Totenbett aus. Der Roman konnte aber erst 1966 erstmals als Zeitschriftenabdruck erscheinen und wurde über Nacht zu einem der beliebtesten russischen Romane. 1975 erschien dann die deutsche Übersetzung.

Erzählt wird von einem Besuch des Teufels mit seinem kleinen Hofstaat in Moskau, um dort einen Ball zu veranstalten. Seine Ankunft löst in der Hauptstadt der atheistischen Sowjetunion erhebliche Verwirrung aus. Bulgakow zeichnet eine fantastische und chaotische Gegenwelt zum bürokratischen und tristen Alltag der UdSSR. Durchsetzt ist diese Geschichte mit Kapiteln, die die letzten Tage Jesu aus der Sicht von Pontius Pilatus erzählen. Wie diese Kapitel mit der Rahmenerzählung zusammenhängen und wer der Meister und Margarita sind, bleibt lange Zeit ein Geheimnis …

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita. Deutsch von Thomas Reschke. Sammlung Luchterhand 62063. ISBN: 978-3-630-62093-0. Preis: € 10,00.