Alles Mythos!

Der Titel ist ein wenig irreführend, denn dieses Buch handelt nicht von Mythen im eigentlichen Sinne, sondern die Autorin korrigiert einige weitverbreitete Vorurteile über das Mittelalter. So etwa, dass die Menschen im Mittelalter durchweg dumm und ungebildet waren, dass sie sich gegen neue Erfindungen und technische Entwicklungen gesträubt hätten, dass das einfache Volk unter erbärmlichen Bedingungen gelebt habe, während es sich der Adel gut habe gehen lassen und vieles anderes mehr.

Dabei entsteht ein lebendiges und aktuelles Bild von Leben und Alltag im Mittelalter, also der Zeit Jahre zwischen ca. 500 – dem Untergang des weströmischen Reichs – bis etwa 1500 – dem Abschluss der der Rückeroberung Spaniens von den Mauren. Dabei werden nicht nur alle gesellschaftlichen Schichten und Gruppen behandelt, sondern auch Fragen wie die nach der rechtlichen Stellung der Frau, der Stellung der Kirche in der Gesellschaft oder dem sozialen Status der Ritterschaft. Vieles wird die Leser überraschen, so etwa die aktive Stellung der Frauen in Handel und Gewerbe – in Köln zum Beispiel waren es zumeist Frauen, die die Zunft der Seidenweber beherrschten – oder die Tatsache, dass die Hexenverfolgung eher eine Angelegenheit der frühen Neuzeit als des angeblich so dunklen Mittelalters gewesen ist. Auch über das Rittergewerbe und die Absichten der Kreuzfahrer weiß Karin Schneider-Ferber interessantes und überraschendes zu berichten.

Das Buch zeichnet sicher ein summarisches und chronologisch unzureichend bleibendes Bild des Mittelalters, doch erfüllt es die selbst gestellte Aufgabe, allgemeine Vorurteile zu entlarven, auf das Beste.

Karin Schneider-Ferber: Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über das Mittelalter. Stuttgart: Theiss, 2009. ISBN: 978-3-8062-2237-1. Preis: € 16,90. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen als Buch und als als eBook ausgeliehen werden.

Der alte König in seinem Exil

Arno Geiger (geb. 1968) gewann im Jahr 2005 den damals erstmals verliehenen Deutschen Buchpreis für seinen Roman »Es geht uns gut«, der die Geschichte einer österreichischen Familie mit ihren Verwicklungen in der Nazizeit aus der Sicht eines Nachgeborenen erzählt.

Sein neues Buch »Der alte König in seinem Exil« ist eine Mischung aus autobiografischer Erzählung und Essay. Es erzählt die Geschichte seines Vaters, genauer die Entwicklung von dessen Demenzerkrankung bis hin zu seinem Tod. Was die Angehörigen zuerst nur als ein Sich-Gehenlassen, als Lustlosigkeit oder mangelndes Interesse interpretieren, stellt sich mit der Zeit als ernsthafte Erkrankung heraus. Bald ist der Vater auf ständige Betreuung angewiesen, und Arno Geiger verbringt viel Zeit mit ihm. Eigentlich hatte er seine Beziehung zum Vater emotional bereits abgeschrieben, aber erstaunlicherweise findet er durch die Krankheit einen Weg zurück zu ihm. Es fängt damit an, dass er als Schriftsteller erstaunt ist über die Formulierungen, die der Vater findet und erfindet:

Es waren Sätze, die auch ein Held von Franz Kafka oder Thomas Bernhard gesagt haben könnte, ich dachte mir, da haben sich zwei gefunden, ein an Alzheimer erkrankter Mann und ein Schriftsteller.

Langsam findet er sogar jenen Vater wieder, den er von der Krankheit bereits zerstört glaubte.

»Der alte König in seinem Exil« ist nicht nur die Dokumentation einer Erkrankung, sondern es erzählt auch die Lebensgeschichte des Vaters nach, von seiner unglückliche Ehe, seinem Einzelgängertum und seiner stillen Liebe. Ein leises und beeindruckendes Buch über eine Vater-Sohn-Beziehung.

Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil. München: Carl Hanser, 2011. ISBN: 978-3-446-23634-9. Preis: € 17,90. Dieser Titel kann auch als eBook ausgeliehen werden.

Die philosophische Hintertreppe

»Im Verhältnis zum gesunden Menschenverstande«, so schreibt der große Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, »ist an und für sich die Welt der Philosophie eine verkehrte Welt.« Dem dürften die meisten Menschen, die sich einmal an einem philosophischen Text versucht haben, zustimmen, wenn auch vielleicht nicht in dem Sinne, wie Hegel es gemeint hat. Dennoch hat auch heute noch die Philosophie bei den meisten eine hervorragende Reputation, und einigen wenigen Philosophen wie zum Beispiel Peter Sloterdijk gelingt es mit schöner Regelmäßigkeit, mit ihren Büchern auf die Bestsellerlisten zu kommen.

Doch die meisten Leser nähern sich der Philosophie über eine sogenannte Einführung, die nicht nur für die akademischen Studenten des Fachs geschrieben werden, sondern auch für den philosophischen Laien. Einer der Klassiker unter diesen Einführungen ist Wilhelm Weischedels (1905–1975) »Die philosophische Hintertreppe«, bereits 1966 zum ersten Mal erschienen und bis heute in zahlreichen Ausgaben und Auflagen nachgedruckt. Weischedel, selbst ein akademischer Philosoph von Rang, bringt dem Leser die Philosophie von den antiken Anfängen bis zum 20. Jahrhundert in 34 Portraits ausgewählter Philosophen näher. Er konzentriert sich dabei stets auf eines der Kernprobleme des entsprechenden Philosophen und macht die Lösung dieses Problems in ihrer jeweiligen Entwicklung verständlich. In aller Kürze entsteht so eine gut lesbare und verständliche Geschichte der Philosophie, die den Leser zu weiterer, eigenständiger Lektüre anregen will.

Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. 34 große Philosophen im Alltag und Denken. dtv 19511. ISBN: 978-3-423-19511-9. Preis: € 10,–. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen (Bergisch eMedien) als eBook ausgeliehen werden.

Arthur Gordon Pym

Edgar Allan Poe (1809–1849) war unter den ersten amerikanischen Schriftstellern, die versucht haben, vom Schreiben zu leben. Er arbeitete für die damals neu entstehenden Magazine, die damals aufgrund von Fortschritten in der Drucktechnik und den verbesserten Vertriebsmöglichkeiten durch die Eisenbahn in großer Zahl gegründet wurden. Diese Magazine kamen dem schriftstellerischen Talent Poes entgegen, da er ein Meister sowohl des Gedichts als auch der kurzen Erzählung war. Doch konnte man als Zeitungsschreiber und -redakteur nur wenig überregionalen Ruhm erwerben. Deshalb entschloss sich Poe, einen Roman zu schreiben, und er legte es mit Konsequenz auf einen Bestseller an.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich sowohl Romane als auch Sachbücher, die von den Abenteuern der Seefahrt handelten, großer Beliebtheit. Und so schickt auch Poe seinen Helden Arthur Gordon Pym auf eine Seereise, die ihn nach einer Reihe von nahezu unglaublichen Abenteuern und Entbehrungen – Meuterei, Schiffsbruch, wochenlanges Treiben auf hoher See – endlich in die damals noch weitgehend unerforschten Gebiete der Antarktis verschlägt. Dort entdeckt man auf der Insel Tsalal einen Volksstamm, der noch in steinzeitlichen Verhältnissen lebt. Obwohl diese ›Wilden‹ zuerst freundlich scheinen, greifen sie ihre Entdecker schließlich an und zerstören ihr Schiff. Nur Pym kann mit einem Kameraden entkommen und treibt nun in einem kleinen Boot immer weiter dem Südpol zu …

Poes einziger Roman ist mit seiner überbordenen und exaltierten Phantasie bis heute eines der bedeutenden Muster der Abenteuer- und phantastischen Literatur geblieben.

Edgar Allan Poe: Der Bericht des Arthur Gordon Pym. Insel Taschenbuch 1449. ISBN: 978-3-458-33149-0. Preis: € 9,00. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen als Hörbuch und auf CD-ROM entliehen werden.

Die nächsten hundert Jahre

Der US-amerikanische Politologe George Friedman hat mit seinem neuen Buch kein kleines Wagnis unternommen: Er will – wenigstens in groben Zügen – den Verlauf des 21. Jahrhunderts voraussagen. Welchen Schwierigkeiten er sich dabei gegenübersieht, ist ihm klar, wie er gleich zu Anfang seines Buches deutlich macht. Er beschreibt den Verlauf des vergangenen Jahrhunderts in 20-Jahres-Schritten und zeigt damit, wie nahezu unmöglich es zu sein scheint, geschichtliche Entwicklungen vorauszusagen. Doch er lässt sich davon nicht abschrecken.

Niemanden wird es angesichts der jetzigen weltpolitischen Situation überraschen, dass Friedman das 21. Jahrhundert für das der USA erklärt. Als bedeutendsten Faktor hierfür sieht er deren Vorherrschaft auf den Weltmeeren an, die ihr langfristig ihre Vormachtstellung sichern wird. Spannender ist da schon, wen Friedman für die wichtigsten Gegner der USA im 21. Jahrhundert hält: Das ist zum einen Russland, das noch einmal versuchen wird, seinen Weltmachtstatus zurückzuerlangen. Und das sind zum anderen drei neue Mächte: Japan, die Türkei und Polen. China hält er, im Gegensatz zu vielen anderen Analytikern, für einen Riesen auf tönernen Füßen. Für die kommenden 100 Jahre sagt Friedman außerdem das Ende der Bevölkerungsexplosion und für die Mitte des Jahrhunderts noch einmal einen Weltkrieg voraus.

Solche Sandkastenspiele sind nun offenbar mit Blick auf das US-amerikanische Militär, den wichtigsten Arbeitgeber Friedmans, ersonnen, aber dennoch ist es faszinierend, ihm bei der Entwicklung seiner originellen Szenarien zu folgen.

George Friedman: Die nächsten hundert Jahre. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Frankfurt/M.: Campus Vlg., 2009. ISBN: 978-3-593-38930-1. Preis: € 22,90.

Geschichte der Juden

Von Zeit zu Zeit lohnt es sich auch für erwachsene Leser einmal, einen Blick in ein Jugendbuch zu werfen. Lutz van Dijk (geb. 1955 in Berlin), ehemaliger Sonderschullehrer, hat zahlreiche Sachbücher für Jugendliche geschrieben, darunter auch eine Geschichte des jüdischen Volkes, die im vergangenen Jahr in einer dritten, aktualisierten Auflage erschienen ist. Folgt man dem jüdischen Selbstverständnis, das die Geschichte der Juden mit dem Stammvater Abraham anheben lässt, so hat das jüdische Volk mit seinem Alter von 4.000 Jahren die älteste ununterbrochene Kulturtradition der westlichen Hemisphäre.

Lutz van Dijk folgt dieser Geschichte von diesen babylonischen Anfängen an. Er erzählt die wichtigsten Episoden der historischen Entwicklung nach, wie sie sich im Alten Testament findet, und schließt eine Darstellung der historischen Ereignisse bis in die Gegenwart an. Er konzentriert sich dabei in den verschiedenen Epochen immer wieder auf einzelne Figuren, die er entweder in erfundenen Monologen oder aber auch mit ihren eigenen Schriften zu Wort kommen lässt. So berichtet einerseits etwa Abrahams Sklavin Hagar davon, wie sie die Mutter Ismaels wurde, oder Aaron erzählt, wie es zum Tanz um das goldene Kalb kam. Andererseits kommen zum Beispiel Anne Frank und Hanna Arendt in Zitaten zu Wort.

Der Kenner findet sicherlich das eine oder andere Detail, das er gern ausführlicher oder differenzierter dargestellt haben würde, aber allen Lesern, die eine gut geschriebene und alles im allem zuverlässige Einführung in das Thema suchen, kann dieses Jugendbuch ohne Einschränkung empfohlen werden.

Lutz van Dijk erzählt die Geschichte der Juden. Frankfurt/M.: Campus Vlg., 3. Aufl. 2008. ISBN: 978-3-593-38537-2. Preis: € 19,90. Dieses Buch kann in der Stadtbibliothek Solingen (Bergisch eMedien) auch als eBook ausgeliehen werden.