Soldaten

Der Historiker Sönke Neitzel hat bereits im Jahr 2005 unter dem Titel »Abgehört« eine Sammlung von Abhörprotokollen veröffentlicht, die während des 2. Weltkriegs im englische Trent Park in der Nähe Londons erstellt worden sind. Dort waren hochrangige Wehrmachtsoffiziere interniert. Neben systematischen Verhören gehörte auch das geheime Abhören der Gefangenen zu den Ermittlungsmethoden des englischen Militärgeheimdienstes.

Nun lässt Neitzel einen weiteren Band folgen, der den schlichten Titel »Soldaten« trägt. Während »Abgehört« ausschließlich Äußerungen von Offizieren enthielt, sind diesmal auch Gespräche einfacher Soldaten ausgewertet worden. Und während es sich beim ersten Band in der Hauptsache um eine Dokumentation handelte, arbeitet Neitzel für sein neues Buch mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer zusammen, um eine interdisziplinäre Deutung der abgehörten Gespräche zu liefern.

Die Autoren konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf das Thema Gewalt: Wie kommt es dazu, dass Menschen, die im Zivilleben nicht zu Gewalt neigen, im Krieg Gewalt nicht nur wie selbstverständlich ausüben, sondern auch an Aktionen teilnehmen, die sie selbst als verbrecherisch oder doch zumindest als fragwürdig ablehnen? Gibt es tatsächlich eine Abstumpfung durch Gewalt, oder ist vielmehr das militärische Umfeld schon ausreichend, um Gewalt auch gegen Wehrlose und Zivilisten auszuüben? Welchen Einfluss hatte die nationalsozialistische Ideologie auf die Soldaten?

Zu diesen und ähnlichen Fragen liefern die abgehörten Gespräche interessante und aufschlussreiche Einsichten. Ein Buch, das auch für historische Laien gut lesbar ist.

Sönke Neitzel / Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2011. ISBN: 978-3-10-089434-2. Preis: € 22,95.

Die Wannseekonferenz

Am 20. Januar 1942 fand in einer Berliner Villa am Großen Wannsee auf Einladung und unter der Leitung von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, ein verhängnisvolles, geheimes Treffen von 14 führenden Entscheidungsträgern des 3. Reiches statt. Die später als Wannseekonferenz in die Geschichtsschreibung eingegangene Sitzung hatte nur einen einzigen Tagesordnungspunkt: die sogenannte Endlösung der Judenfrage, eine euphemistische Umschreibung für eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts.

Zeitlich vorangegangen war der Angriff der Japaner auf den US-amerikanischen Marinestützpunkt in Pearl Harbour am 7. Dezember 1941, der daraus folgende Kriegseintritt der USA und die Kriegserklärung Deutschlands gegenüber den USA am 11. Dezember. Mit dieser Zuspitzung der Kriegslage verband Hitler den Plan, die Juden Europas systematisch und restlos umbringen zu lassen. Die Organisation dieses Massenmordens in die Wege zu leiten, war die Aufgabe der Wannseekonferenz.

Es hat sich ein einziges von ursprünglich 30 Exemplaren des Sitzungsprotokolls erhalten. Aus ihm erfahren wir detailliert, was an jenem 20. Januar besprochen und beschlossen worden ist. Der Regisseur Heinz Schirk hat 1984 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks auf der Grundlage dieses Dokuments mit einer hervorragenden Besetzung eine minutiöse Rekonstruktion der Sitzung gedreht, die den Verlauf beinahe in Echtzeit wiedergibt. Es handelt sich um ein frühes Doku-Drama, das mit seiner Qualität auch für heutige Produktionen immer noch als Vorbild dienen kann.

»Die Wannseekonferenz«. D/AU, 1984. 1 DVD, Komplett-Media. Sprache: Deutsch. Länge: ca. 90 Minuten. FSK: Info-Programm. Preis: ca. € 18,–.

Nemesis

Im Sommer 1944 arbeitet der junge Eugene Cantor, den seine Freunde Bucky nennen, als Trainer und Aufsicht auf einem Sportplatz der US-amerikanischen Stadt Newark. Bucky ist ein guter Sportler und gerade als Sportlehrer eingestellt worden; während der Sommerferien betreut er die Kinder aus der Nachbarschaft, die nicht im Ferienlager oder mit ihren Eltern verreist sind. Leider ist für die Kinder von Newark der Sommer 1944 ein schlechter Sommer, denn es macht sich eine Polio-Epidemie in der Stadt breit. Auch einige von Buckys Kindern sind von der Krankheit betroffen.

Als sich die Fälle häufen, macht sich Bucky Gedanken, ob man den Platz nicht besser schließen sollte, aber da die Kinder sonst kaum Möglichkeiten haben zu spielen, zögert er. Schließlich bespricht er sich mit seinem zukünftigen Schwiegervater, der Arzt ist, ihn aber beruhigt: Man wisse nicht, wie die Kinderlähmung übertragen werde und es sei sehr unwahrscheinlich, dass die spielenden Kinder einander anstecken könnten.

Doch nicht nur die Epidemie setzt Bucky zu. Seine Freundin, die als Betreuerin in einem Ferienlager arbeitet, ruft ihn an, um ihm zu erzählen, dass in dem Lager eine Stelle als Schwimmlehrer frei geworden ist. Bucky solle sich doch bewerben; nicht nur könnten sie dann den Sommer miteinander verbringen, sondern sie wäre auch von der Sorge befreit, dass Bucky sich anstecken könne. Nach langem Zaudern entschließt der sich endlich, den Sportplatz zu schließen und zu seiner Freundin zu fahren …

Philip Roth hat mit dieser längeren, sehr ruhigen Erzählung einen weiteren Beweis seiner hohen Erzählkunst geliefert.

Philip Roth: Nemesis. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. München: Hanser, 2011. ISBN: 978-3-446-23642-4. Preis: € 18,90.

Menschenrauch

Der US-amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker (geb. 1957) legt mit seinem Buch »Menschenrausch« eine beeindruckende Sammlung historischer Quellen vor, die im Wesentlichen den Zeitraum vom Ende des ersten Weltkriegs bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 umfassen. Dokumentiert werden sowohl die Bestrebungen der Kriegstreiber als auch die vergeblichen Bemühungen der Kriegsgegner, den nächsten Krieg zu verhindern bzw. so rasch wie möglich zu beenden. Neben staatlichen und politischen Verlautbarungen werden nahezu gleichrangig Tagebücher und private Aufzeichnungen von Opfern dokumentiert. Einen breiten Raum nehmen auch Zitate aus Tageszeitungen ein.

Diese Fleißarbeit Bakers erzeugt ein Mosaik der Entwicklung vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg hin und der ersten Kriegsjahre. Für Leser, die sich in dieser Zeit auskennen, bereichert die Lektüre des Buches ihren Blick auf überraschende Weise.

Natürlich stößt Bakers Ansatz, die Quellen beinahe unkommentiert sprechen zu lassen, auch an Grenzen: Gerade als Deutscher hegt man Zweifel, ob sich etwa von den Verbrechen an den Juden ein historisch korrekter Eindruck ergibt, wenn pseudorationale Argumente von Antisemiten oder Nationalsozialisten scheinbar gleichrangig neben Klagen von Juden oder jüdischen Hilfsorganisationen stehen. Da die Quellen zudem im Dezember 1941 enden, bleibt die entsetzlichste Phase des Holocaust nach der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 komplett ausgeblendet. Trotz dieser Einschränkungen ist Bakers Buch eine durchweg empfehlenswerte Lektüre.

Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete. Deutsch von Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld. Reinbek: Rowohlt, 2009. ISBN: 978-3-498-00661-7. Preis: € 24,90.

Die Haut

Curzio Malaparte (1898–1957, bürgerlich Kurt Erich Suckert) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei Romane weit über die Grenzen Italiens hinaus berühmt, die die schlagkräftigen Titel »Kaputt« und »Die Haut« tragen. Malaparte ist eine der schillerndsten Figuren der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sohn eines Sachsen und einer Mailänderin, in der Toskana geboren, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg Attaché in Warschau, ein früher Anhänger der italienischen Faschisten, aber zugleich auch einer ihrer Kritiker. Er wurde aus dem diplomatischen Dienst entlassen, arbeitete bis 1931 als Chefredakteur der Tageszeitung La Stampa. 1933 wurde er wegen kritischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen und auf die kleine Insel Lipari, nördlich von Sizilien, verbannt. Doch Malaparte kehrte bald aus der Verbannung zurück und arbeitet als Kriegsberichterstatter in Nordafrika, auf dem Balkan, in Russland und Finnland.

In »Die Haut« erzählt Malaparte als Ich-Erzähler von der Befreiung Italiens durch US-amerikanische Truppen. Es handelt sich dabei weniger um einen Roman im traditionellen Sinne, sondern mehr um eine journalistische Sammlung von Erlebnissen und Eindrücken, die sich zu einem Gesamtbild runden. Die Erzählung beginnt 1943 in Neapel und endet 1945 in Norditalien. Das erste Drittel des Buches ist dabei Neapel gewidmet und schildert eindrucksvoll, wie die traditionelle Volkskultur Neapels durch Elend, Hunger, Tod und nicht zuletzt auch durch die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern verändert und zerstört wird. Malaparte bewährt sich als moralischer, unbestechlicher, zugleich aber auch sentimentaler Beobachter.

Curzio Malaparte: Die Haut. Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Fischer Taschenbuch 17411. ISBN: 978-3-596-17411-9. Preis: € 12,95.