Soldaten

Der Historiker Sönke Neitzel hat bereits im Jahr 2005 unter dem Titel »Abgehört« eine Sammlung von Abhörprotokollen veröffentlicht, die während des 2. Weltkriegs im englische Trent Park in der Nähe Londons erstellt worden sind. Dort waren hochrangige Wehrmachtsoffiziere interniert. Neben systematischen Verhören gehörte auch das geheime Abhören der Gefangenen zu den Ermittlungsmethoden des englischen Militärgeheimdienstes.

Nun lässt Neitzel einen weiteren Band folgen, der den schlichten Titel »Soldaten« trägt. Während »Abgehört« ausschließlich Äußerungen von Offizieren enthielt, sind diesmal auch Gespräche einfacher Soldaten ausgewertet worden. Und während es sich beim ersten Band in der Hauptsache um eine Dokumentation handelte, arbeitet Neitzel für sein neues Buch mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer zusammen, um eine interdisziplinäre Deutung der abgehörten Gespräche zu liefern.

Die Autoren konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf das Thema Gewalt: Wie kommt es dazu, dass Menschen, die im Zivilleben nicht zu Gewalt neigen, im Krieg Gewalt nicht nur wie selbstverständlich ausüben, sondern auch an Aktionen teilnehmen, die sie selbst als verbrecherisch oder doch zumindest als fragwürdig ablehnen? Gibt es tatsächlich eine Abstumpfung durch Gewalt, oder ist vielmehr das militärische Umfeld schon ausreichend, um Gewalt auch gegen Wehrlose und Zivilisten auszuüben? Welchen Einfluss hatte die nationalsozialistische Ideologie auf die Soldaten?

Zu diesen und ähnlichen Fragen liefern die abgehörten Gespräche interessante und aufschlussreiche Einsichten. Ein Buch, das auch für historische Laien gut lesbar ist.

Sönke Neitzel / Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2011. ISBN: 978-3-10-089434-2. Preis: € 22,95.

Unsichtbar

Paul Auster (geb. 1947) beherrscht die Kunst, literarisch anspruchsvolle und zugleich unterhaltsame und spannende Bücher zu schreiben. Sein jüngstes Buch ist einmal mehr ein Beweis dafür.

»Unsichtbar« beginnt mit den Erlebnissen Adam Walkers, eines jungen Schriftstellers, der im Frühjahr 1967 in New York Literatur studiert. Auf einer Party lernt er Rudolf Born, einen Gastdozenten an seiner Universität, und dessen Freundin Margot kennen. Nur wenige Tage später trifft Adam erneut auf Born, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Er habe etwas Geld geerbt und plane, eine literarische Zeitschrift zu gründen. Allerdings brauche er einen Chefredakteur, der sich um alles kümmere; ob Adam diesen Job übernehmen wolle. Adam will eine solche Chance natürlich nicht ausschlagen, und so beginnt für ihn eine höchst abenteuerliche Bekanntschaft.

Der zweite Teil des Buches setzt 40 Jahre später ein: Wir lernen James Freeman kennen, einen erfolgreichen Schriftsteller, der zusammen mit Walker studiert hat. Wir erfahren, dass es sich beim ersten Teil um den Entwurf eines Romans von Walker handelt. Er ist schwer an Krebs erkrankt und bittet Freeman um kollegiale Hilfe bei der Fortsetzung des Romans. Freeman gibt einige Tipps und hält schon bald den zweiten Teil des Romans in Händen, der nicht weniger abenteuerlich von den weiteren Erlebnissen Walkers erzählt. Als Freeman endlich Walker besuchen will, erfährt er, dass der kurz zuvor verstorben ist. Aber er hat einen Entwurf des dritten Teils seines Romans hinterlassen, der in Paris spielt. Neugierig geworden, beginnt Freeman zu recherchieren, wie viel von Adams Roman auf Wahrheit beruht …

Paul Auster: Unsichtbar. Reinbek: Rowohlt, 2010. ISBN: 978-3-498-00081-3. Preis: € 19,95.

Das weiße Band

In einem niedersächsischen Dorf geschehen innerhalb des Jahres vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Reihe merkwürdiger Ereignisse. Es beginnt damit, dass der Arzt des Dorfes bei seiner Heimkehr von einem Ausritt mit seinem Pferd stürzt und sich schwer verletzt. Es erweist sich, dass die Ursache ein starkes, niedrig über dem Boden gespanntes Seil war, das allerdings am nächsten Morgen wieder verschwunden ist. Am folgenden Tag geschieht im nahegelegenen Sägewerk, das aufgelöst wird, ein Unfall: Eine Kleinbäuerin fällt durch einen morschen Boden hindurch in den Tod.

Beides scheint folgenlos vorüber zu gehen, doch beim Erntedankfest kommt es zu weiteren Vorfällen: Zum einen wird der Kohl im Garten des Barons mit der Sense zerschnitten; ärger aber ist, dass der junge Sohn des Barons verschwindet und erst Stunden später gefunden wird. Er ist von Unbekannten im Sägewerk angebunden und sein Gesäß mit Ruten zerschlagen worden. Ihren Höhepunkt finden diese Vorfällen als im folgenden Jahr der behinderte Sohn der Hebamme im Wald an einen Baum gefesselt und übel misshandelt wird.

Entlang dieser rätselhaften Ereignisse erzählt Regisseur Michael Haneke vom Leben in dem kleinen Dorf zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Fokus stehen das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen sowie die komplexen Beziehungen und Geheimnisse der Dorfbewohner. Entstanden ist dabei ein Porträt des späten deutschen Kaiserreichs von bedrückender Intensität. Besonders die schauspielerischen Leistungen der Kinderdarsteller sind absolut sehenswert.

»Das weiße Band. Eine deutsche Kindergeschichte«. D/AU/F/I, 2009. 2 DVDs, Warner Brothers. Sprache: Deutsch. Länge: ca. 138 Minuten. Extras: Making-of, Festspiele Cannes, Porträt. FSK: ab 12 Jahren. Preis: ca. € 13,–.