Der US-amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker (geb. 1957) legt mit seinem Buch »Menschenrausch« eine beeindruckende Sammlung historischer Quellen vor, die im Wesentlichen den Zeitraum vom Ende des ersten Weltkriegs bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 umfassen. Dokumentiert werden sowohl die Bestrebungen der Kriegstreiber als auch die vergeblichen Bemühungen der Kriegsgegner, den nächsten Krieg zu verhindern bzw. so rasch wie möglich zu beenden. Neben staatlichen und politischen Verlautbarungen werden nahezu gleichrangig Tagebücher und private Aufzeichnungen von Opfern dokumentiert. Einen breiten Raum nehmen auch Zitate aus Tageszeitungen ein.
Diese Fleißarbeit Bakers erzeugt ein Mosaik der Entwicklung vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg hin und der ersten Kriegsjahre. Für Leser, die sich in dieser Zeit auskennen, bereichert die Lektüre des Buches ihren Blick auf überraschende Weise.
Natürlich stößt Bakers Ansatz, die Quellen beinahe unkommentiert sprechen zu lassen, auch an Grenzen: Gerade als Deutscher hegt man Zweifel, ob sich etwa von den Verbrechen an den Juden ein historisch korrekter Eindruck ergibt, wenn pseudorationale Argumente von Antisemiten oder Nationalsozialisten scheinbar gleichrangig neben Klagen von Juden oder jüdischen Hilfsorganisationen stehen. Da die Quellen zudem im Dezember 1941 enden, bleibt die entsetzlichste Phase des Holocaust nach der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 komplett ausgeblendet. Trotz dieser Einschränkungen ist Bakers Buch eine durchweg empfehlenswerte Lektüre.
Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete. Deutsch von Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld. Reinbek: Rowohlt, 2009. ISBN: 978-3-498-00661-7. Preis: € 24,90.