60 Jahre Peanuts

Am 2. Oktober 1950 erschien in gleich acht US-amerikanischen Zeitungen ein Comicstreifen, der aus vier simplen, schwarz-weißen Bildchen besteht: Aus der Ferne des Bildes kommt ein kleiner Junge, der an zwei anderen auf dem Bordstein sitzenden Kindern vorbeigeht. Aus dem Kommentar eines der sitzenden Kinder erfahren wir, dass es der »gute, alte Charlie Brown« ist, der da vorübergeht. Wohl niemand, auch nicht der Autor des Comicstrips Charles M. Schulz (1922–2000), konnte damals ahnen, dass dies der Auftakt zu einem bis heute ungebrochen anhaltenden, weltweiten Erfolg sein würde.

Die Charaktere haben sich langsam entwickelt: Zu Anfang war Charlie Brown eher eine kleiner Raufbold, später wird er in jedem Sinne die Verkörperung des »kleinen Mannes«, eines Jungen, dem vieles misslingt, der von seinen Kameraden oft schief angesehen wird, der Besitzer des merkwürdigsten Beagles des Welt und Captain des schlechtesten Baseball-Teams aller Zeiten. Aber Charlie lässt sich von all dem nicht unterkriegen. So oft er auch über sein Leben und sein Unglück seufzt, wir können sicher sein, dass er schon morgen wieder verhalten optimistisch in die Welt schauen wird.

Die »Peanuts« wurden in 21 Sprachen übersetzt, später wurden sie auch koloriert, wurden Fernseh- und Kinohelden und ihre Abenteuer wurden auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs nahezu gleichzeitig von 355 Millionen Lesern in 75 Ländern verfolgt. Schulz hat mit den »Peanuts« eine Welt geschaffen, die ausschließlich von Kindern er- und durchlebt wird. Erwachsene kommen zwar vereinzelt vor (oft nur als ein paar Beine oder eine quäkende Stimme), aber Schulz’ Sympathie gehört immer den »kleinen Leuten«, wie er die Serie ursprünglich hatte nennen wollen.

Sowohl im Buchhandel als auch in der Stadtbibliothek Solingen sind zahlreiche Bücher und Videos der »Peanuts« zu finden.

Eristische Dialektik

Als der Philosoph Arthur Schopenhauer am 21. September vor 150 Jahren starb, hinterließ er eine bedeutende Menge von Notizen. Die frühesten stammen bereits aus dem Jahr 1804, als Schopenhauer gerade einmal 16 Jahre alt war und noch einer Kaufmannslehre in Danzig nachging. Darunter fand sich auch eine weitgehend ausgearbeitete Schrift über die Kunst des Streitens, genauer: über die Kunst, Recht zu behalten. Schopenhauer nannte dieses kleine Lehrbuch, das 38 argumentative Kniffe aufführt, »Eristische Dialektik« – eristisch nach der altgriechischen Göttin der Zwietracht, Eris, und Dialektik als Bezeichnung für die Kunst des Argumentierens.

Die Grundidee des Büchleins ist es, jene rhetorischen Tricks zu lehren, mit denen gute Redner in der Lage zu sein scheinen, immer im Recht zu bleiben, so sehr ihnen ihr Gegenüber auch zusetzt. Schopenhauer nennt zwei Gründe, warum jeder, der diskutiert, diese Kniffe kennen sollte: Zum einen, um ihre Anwendung gegen einen selbst zu erkennen und den Kniff entlarven zu können. Zum anderen aber auch, damit man selbst seinen Standpunkt nicht vorschnell aufgeben muss, bloß weil einem im Augenblick nicht das richtige Argument einfällt. Man kann also versuchen, auch gegen die scheinbar stärkeren Argumente vorerst Recht zu behalten, in der Hoffnung, dass einem das bessere Argument später doch noch einfallen wird.

Dass dieser letzte Grund moralisch etwas fragwürdig ist, hat Schopenhauer vielleicht davon abgehalten, das Büchlein zu veröffentlichen. Nichtsdestotrotz ist es zu einer seiner meistgelesenen Schriften geworden.

Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten. Zürich: Kein & Aber, 2009. ISBN: 978-3-0369-5269-7. Preis: € 9,90. Dieser Titel kann im digitalen Angebot der Stadtbibliothek Solingen als Hörbuch heruntergeladen werden.

Unser allerbestes Jahr

Jesse, der Sohn des kanadischen Schriftstellers David Gilmour (geb. 1949), quält sich durch die Schule. Jesse ist sechzehn, ein netter und umgänglicher Junge, beliebt bei den Nachbarn und auch in der Schule, nur ist er eben ein miserabler Schüler und schwänzt den Unterricht, wann er nur kann. Deshalb entschließt sich sein Vater eines Tages zu einem radikalen Schritt: Er bietet Jesse an, er brauche ab sofort nicht mehr zur Schule zu gehen, brauche sich auch keinen Job zu suchen, sondern könne mit seiner Zeit machen, was er wolle. Nur zwei Bedingungen stellt der Vater: Keine Drogen und Jesse muss sich zusammen mit seinem Vater drei Filme in der Woche anschauen, die der Vater aussucht. Jesse ist sofort mit dem Vorschlag einverstanden.

»Unser allerbestes Jahr« (Originaltitel: »The Film Club«) ist der autobiografische Bericht David Gilmours über dieses pädagogische Experiment, bei dem ihm als Vater zu Anfang durchaus nicht ganz wohl ist. Aber mit der Zeit stellt sich heraus, dass Jesse das in ihn gesetzte Vertrauen durchaus zu rechtfertigen weiß: Nach einer Weile sucht er sich sogar einen Job, er macht mit seinem musikalischen Hobby ernst und fängt an, in kleinen Clubs aufzutreten, und er bekommt von seinem Vater wie nebenbei eine Grundausbildung als Filmkritiker.

»Unser allerbestes Jahr« ist ein leichtes, gut lesbares, aber deshalb nicht anspruchsloses Buch über eine Vater-Sohn-Beziehung, die aus der Pubertät des Sohnes gestärkt hervorgeht. Es steht auf der Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2010, ist aber durchaus auch Eltern zu empfehlen.

David Gilmour: Unser allerbestes Jahr. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. Fischer Taschenbuch 18224. ISBN: 978-3-596-18224-4. Preis: € 9,95.

Die Leinwand

Bei Benjamin Steins Roman »Die Leinwand« handelt es sich schon äußerlich um eine der ungewöhnlichsten Neuerscheinungen in diesem Jahr. Das Buch enthält zwei Texte, die Rücken an Rücken unter einem Buchdeckel vereint sind. Man kann das Buch also entweder auf der einen oder auf der anderen Seite zu lesen beginnen und begegnet dabei jeweils einer Hälfte des Romans, die wenigstens zu Anfang mit der anderen Hälfte nur wenig zu tun zu haben scheint. Der Autor überlässt es ganz bewusst dem Leser, mit welcher Hälfte er beginnen möchte, oder ob er immer wieder zwischen beiden wechseln möchte.

Erzählt werden die Lebensgeschichten von Jan Wechsler und Amnon Zichroni. Amnon wird in Israel geboren, wächst aber in der Schweiz bei einem Nenn-Onkel auf, der für seine Erziehung sorgt. Amnon hat die bemerkenswerte Fähigkeit, Erinnerungen anderer Menschen spontan selbst zu durchleben, wenn er diese Menschen berührt. Jan Wechsler dagegen wächst in Ost-Berlin auf und schlägt sich als mäßig erfolgreicher Schriftsteller und Journalist durch. Beider Leben ist verbunden durch ihre Bekanntschaft mit dem Geigenbauer Minsky, der ein Buch über seine Kindheit in einem NS-Vernichtungslager veröffentlicht hat. Jan Wechsler recherchiert die Lebensgeschichte Minskys und findet heraus, dass dessen vorgebliche Erinnerungen frei erfunden zu sein scheinen. Tatsächlich ist Minsky das Kind Schweizer Eltern und war nie in einem Konzentrationslager interniert. Was diese Enthüllung für Minsky, Amnon und Jan für Folgen hat, soll hier nicht verraten werden. Eine sowohl formal als auch inhaltlich höchst ungewöhnliche Lektüre.

Benjamin Stein: Die Leinwand. München: C.H. Beck, 2010. ISBN: 978-3-406-59841-8. Preis: € 19,95.

Bill Brysons Shakespeare

Der US-amerikanische Journalist und Schriftsteller Bill Bryson (geb. 1951 in Iowa) wurde an dieser Stelle vor einiger Zeit bereits mit seinem Buch »Eine kurze Geschichte von fast allem« vorgestellt. Bryson hat ein außergewöhnliches Talent, in seinen Bücher seine offenbar unbegrenzte Neugier fruchtbar zu machen und seinen Lesern auch komplizierte oder abgelegene Probleme eingängig nahezubringen. Da Bryson einen bedeutenden Teil seines Lebens in England verbracht hat, ist es nicht verwunderlich, dass er sich in einem seiner neuesten Bücher der Person bzw. dem Problem Shakespeares widmet.

Im Wesentlichen besteht das Problem der modernen Leser mit Shakespeare darin, dass wir über seine Person nur sehr wenig Faktenwissen haben. Zwar wissen wir über Shakespeare mehr als über die anderen Dichter seiner Zeit, aber dennoch genügt das Material nicht für eine Biografie, wie wir sie gewohnt sind. Das hindert Shakespeare-Forscher allerdings nicht daran, dicke Wälzer über ihn zu verfassen.

Bill Brysons Buch über Shakespeare hat zwei Vorteile: Zum einen ist es knapp und auf das Wesentliche reduziert. Bryson beweist auch hier wieder sein sicheres Gespür dafür, was erzählt werden muss und was guten Gewissens fortfallen kann. Und zum anderen macht Bryson an jeder Stelle klar, was man sicher über den Dichter weiß und was Spekulation ist. Natürlich ist auch Bryson genötigt, viel Allgemeines über das Elisabethanische Zeitalter zu erzählen, wo ihm konkreten Fakten zum Leben Shakespeares fehlen, doch bleibt sein Buch auch dabei immer interessant und gut lesbar.

Eine hervorragende, kurze Einführung in Shakespeare und seine Epoche.

Bill Bryson: Shakespeare – wie ich ihn sehe. Goldmann Taschenbuch 47275. ISBN: 978-3-442-47275-8. Preis: € 7,95.

Das endgültige Satirebuch

Vor gut 30 Jahren, im November 1979, erschien das erste Heft des Satiremagazins »Titanic«. Zum Jubiläum hat die Redaktion sich und allen Titanic-Lesern ein Geschenk gemacht und das »Erstbeste aus 30 Jahren« in einem Buch versammelt. »Titanic« hat mit Witz und Biss 30 Jahre west- und gesamtdeutscher Geschichte begleitet. Natürlich standen oft Politik und Politiker im Zentrum der Satire: So hat es Helmut Kohl über 60 Mal aufs Titelblatt geschafft (eine Auswahl der besten Kohl-Titelblätter findet sich natürlich im Buch), aber auch Rudolf Scharping, Gerhard Schröder, Kurt Beck, Angela Merkel u.v.a. sind nicht unbehelligt davongekommen.

Doch die Satire der »Titanic« hat sich nicht nur mit Politik beschäftigt, sondern sich auch der »heiligen Kühe« bundesdeutscher Kultur angenommen: Gern erinnert man sich etwa an die Aktion bei »Wetten, dass..?«, bei der der »Titanic«-Redakteur Bernd Fritz beinahe Wettkönig wurde mit der unsinnigen Wette, er könne Buntstifte am Geschmack erkennen. Nicht weniger heiß diskutiert wurde die Aktion von Martin Sonneborn, der sich im Juli 2000 in die Vergabe der Fußball-WM nach Deutschland einmischte, als er einem neuseeländischen Fifa-Funktionär ein absurdes Bestechungsschreiben ins Hotel faxte.

Neben vielen aktuellen Themen blühte bei der »Titanic« aber auch immer ein Sinn für höheren Unsinn, so wenn etwa Opa Sondermann seinen Enkeln Abenteuer aus der Versicherungsagentur erzählt oder man im Stil der »Was ist Was«-Bücher erklärt, warum wir mit den Füßen gehen.

Die und vieles mehr gibt es in dem Jubiläumsband wiederzuentdecken.

Titanic. Das endgültige Satirebuch. Das Erstbeste aus 30 Jahren. Hg. v. Peter Knorr, Oliver Maria Schmidt, Martin Sonneborn u.a. Berlin: Rowohlt Berlin, 2009. ISBN: 978-3-87134-652-1. Preis: € 25,00.

Die Welt ohne uns

Was würde geschehen, wenn von einem Augenblick zum nächsten alle Menschen von der Erde verschwunden wären? Wie lange würde die Natur brauchen, die vom Menschen besiedelten Gebiete zurückzuerobern? Und wie lange würden sich noch Überreste der Zivilisation finden lassen?

Das Buch »Die Welt ohne uns« des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Alan Weismans versucht, diese und ähnliche Fragen im Gedankenspiel zu beantworten. Die Idee zu diesem Buch erwuchs aus einem Artikel Weismans, der beschrieb, wie sich die Natur im Gebiet um den Reaktor von Tschernobyl entwickelte. Dort leben einerseits kaum noch Menschen, andererseits ist das Gebiet immer noch mit einer hohen Strahlung belastet. Von seinen dortigen Beobachtungen ausgehend, beschäftigte sich Weisman mit dem Schicksal menschlicher Bauten rund um die Erde: Er lässt in Gedanken Wohnhäuser zerfallen, die U-Bahn von New York im Wasser versinken oder große Industrieanlagen im Süden der USA in katastrophalen Bränden untergehen. Sogar das größte menschliche Bauprojekt, der Panamakanal, wäre ohne kontinuierliche Instandhaltung innerhalb von kurzer Zeit von der Natur zerstört.

Gleichzeitig mit diesen Untergangs-Szenarien stellt Weisman die erstaunliche Fähigkeit der Natur dar, sich zu regenerieren und geschlagene Wunden zu heilen. Trotz dieser Fähigkeit werden einige Überreste der Zivilisation auch nach hunderttausenden von Jahren noch die Natur belasten, so z. B. die radioaktiven Sprengstoffe, die wir angereichert haben, oder der Plastikabfall, den wir produzieren.

»Die Welt ohne uns« ist ein gut lesbares, informatives Sachbuch über die Auswirkungen der menschlichen Zivilisation.

Alan Weisman: Die Welt ohne uns. Piper Taschenbuch5305. ISBN: 978-3-492-25305-5. Preis: € 9,95.

Irrungen, Wirrungen

Theodor Fontane hat erst spät in seinem Leben begonnen, Romane zu schreiben. Er war längst ein bekannter Journalist und Theaterkritiker, Lyriker und Reiseschriftsteller als 1878 – Fontane war schon beinahe 60 – mit »Vor dem Sturm« sein etwas umständlich erzählter erster Roman erschien. Trotz den kleinen Fehlern seines Erstlings lieferte Fontane von da an beinahe jährlich einen neuen, erfolgreichen Roman.

»Irrungen, Wirrungen«, zehn Jahre nach »Vor dem Sturm« erschienen, erzählt die Geschichte der Liebe zwischen Baron Botho von Rienäcker und dem Schneidermädchen Lene Nimptsch. Das Thema war damals nicht ungewöhnlich; besonders die Trivialliteratur war voll von solchen Geschichten, die oft nach dem Motto endeten: Amor vincit omnia – die Liebe siegt über alles.

Bei Fontane geht es dagegen realistischer zu: Schon ein erster Ausflug nach Hankels Ablage im Süden Berlins macht den beiden Liebenden deutlich, dass es ein großer Unterschied ist, ob sie nur zu zweit sind oder ob sie sich gemeinsam in Gesellschaft bewegen müssen. Hinzukommt, dass Botho beinahe schon verlobt ist und durch die Mitgift seiner Familie finanziell auf die Beine helfen könnte. So heiratet Botho schließlich vernunft- und standesgemäß, und auch Lene findet am Ende einen zu ihr passenden Mann. Doch Botho braucht lange, bis er mit seinen Gefühlen zu Lene abschließen kann …

Der Roman hat bei seinem Erscheinen einen Skandal ausgelöst. Besonders dass Fontane seine beiden Hauptfiguren während des Ausflugs gemeinsam in einem Zimmer übernachten lässt, führte zu heftigen Reaktionen; sogar als »gräßliche Hurengeschichte« ist der harmlose, kleine Roman damals beschimpft worden.

Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen. Reclam UB 18741. ISBN: 978-3-15-018741-8. Preis: € 3,60.

Der Verrückte des Zaren

Jaan Kross (1920–2007) ist noch der bekannteste unter all den unbekannten Schriftstellern Estlands. Es war ausgebildeter Jurist und hat nach dem Zweiten Weltkrieg acht Jahre lang in russischer Verbannung in Sibirien leben müssen, bevor er 1954 in seine Geburtsstadt Tallinn zurückkehren durfte. Als Schriftsteller hat er zuerst Gedichte geschrieben, in den 60er Jahren dann Essays und Kurzgeschichten, um schließlich seinen monumentalen Roman »Das Leben des Balthasar Rüssow« zu verfassen, an dem er über zehn Jahre geschrieben hat.

Die meisten Romane von Jan Kross sind historische Romane, die sich um Personen drehen, die wirklich gelebt haben und für die Geschichte Estlands von Bedeutung waren; so auch »Der Verrückte des Zaren« (1978). Erzählt wird darin die Geschichte des deutschbaltischen Adeligen Timotheus Eberhard von Bock (1787–1836), der unter Zar Alexander I. Karriere in der russischen Armee machte. Zwischen 1805 und 1813 nahm er an zahlreichen Feldzügen teil, zuletzt im Rang eines Oberst, war Flügeladjutant des Zaren, zu dem er wohl ein freundschaftliches Verhältnis hatte.

Kross’ Interesse an ihm beginnt aber erst, als sich von Bock im Jahr 1818, als er inzwischen auf seinem Gut in Estland lebt, mit einer Denkschrift an den Zaren wendet, in der er tiefgreifende Reformationen fordert: Aufhebung des Absolutismus und Abschaffung der Leibeigenschaft. Von Bock wird daraufhin unter der Annahme, er sei verrückt geworden, verhaftet und für neun Jahre in Festungshaft gebracht. Nachdem er 1827 in einen Hausarrest auf seinen Gütern entlassen wird, plant er seine Flucht aus Estland …

Jaan Kross: Der Verrückte des Zaren. Aus dem Estnischen von Helga Viira. dtv Taschenbuch 20655. ISBN: 978-3-423-20655-6. Preis: € 11,90.

Geschichten vom Herrn Keuner

Im November 1947 kehrte Bertolt Brecht fluchtartig aus den USA nach Europa zurück, nachdem er am 30. Oktober vom »Komitee für unamerikanische Umtriebe« verhört worden war. Brecht konnte nur in die Schweiz gehen, da dies das einzige europäische Land war, das dem Staatenlosen den Aufenthalt gestattete. So reiste er über Paris nach Zürich, wo er unmittelbar nach seiner Ankunft Kontakte zum Schauspielhaus knüpfte und sich über Arbeitsmöglichkeiten informierte. Natürlich bemüht er sich vor dort aus auch darum, wieder nach Deutschland zurückkehren zu können, aber diese Aussichten entwickelten sich etwas langsamer. Dennoch erschien schon im Januar 1949 in Berlin Brechts erste Nachkriegsveröffentlichung: »Kalendergeschichten« im Verlag Gebrüder Weiß, der seinen Sitz im Stadtteil Schöneberg hatte. Der Band enthält eine Mischung von Gedichten und Prosa, darunter auch die ersten 39 Keuner-Geschichten.

Seitdem gehören die »Geschichten vom Herrn Keuner« sicherlich zu Brechts bekanntesten und beliebtesten Prosatexten überhaupt. Ihre kurzen, prägnanten Fabeln, die überraschenden, oft dialektischen Pointen, denen man es nicht übel nimmt, dass sie einen offensichtlich zum Nachdenken zwingen wollen, machen ihren Reiz aus:

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: »Sie haben sich gar nicht verändert.« »Oh!« sagte Herr K. und erbleichte.

Die Stadtbibliothek Solingen hat neben den »Kalendergeschichten« auch eine CD mit einer Lesung der »Geschichten vom Herrn Keuner« durch Manfred Krug im Bestand.

Bert Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2006. ISBN: 978-3-518-36516-8. Preis: € 6,00.