Sturz durch alle Spiegel

Nachdem Max Frisch 1954 mit seinem Roman »Stiller« seinen ersten großen Erfolg feiern konnte, entschloss er sich, als freier Schriftsteller zu leben. Dieser Entschluss war verbunden mit einer radikalen Änderung seines gesamten Lebens: Frisch verkaufte sein Architekturbüro und trennte sich von seiner ersten Ehefrau und seiner Familie. Zurück blieb auch die älteste Tochter Ursula Frisch (geb. 1943), die nun unter ihrem Ehenamen Priess ein Erinnerungsbuch an ihren Vater veröffentlicht hat.

Der erste Teil des Buches erzählt als eine Art von Rahmenhandlung von einem Treffen der Autorin mit einem namenlos bleibenden Mann in Venedig. Sie hat diesen Mann nur einmal zuvor getroffen, als sie ihn bei einer Ausstellungseröffnung kennenlernte. Seitdem hatten die beiden oft und lange miteinander telefoniert; nun trifft man sich endlich wieder und zeigt sich gegenseitig Venedig. Aber es stellt sich bald heraus, dass auch dieser Mann – wie so viele Menschen zuvor – in ihr die Tochter Max Frischs sieht. Er selbst hatte wohl zu der Zeit, als Max Frisch und Ingeborg Bachmann versuchten, ein Paar zu sein, eine intime Bekanntschaft mit Ingeborg Bachmann. Letztlich scheitert das Treffen in Venedig an den Schatten dieser Vergangenheit.

Ursula Priess nimmt diese missglückte Begegnung zum Anlass, das stets schwierige Verhältnis zu ihrem Vater aufzuarbeiten und zu reflektieren. Sie greift dabei auf Aufzeichnungen zurück, die über viele Jahre hinweg entstanden sind. Aus den assoziativ verbundenen Anekdoten ergibt sich kein geschlossenes Bild des berühmten Autors, sondern es entsteht ein sehr persönliches Erinnerungsbuch an den Vater Max Frisch.

Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel. Zürich: Amman, 2009. ISBN: 978-3-250-60131-9. Preis: € 18,95.

Buch der Katastrophen

Düsseldorf hat zwei Literaten hervorgebracht, die den Vornamen Harry trugen: Der eine ist unter seinem späteren christlichen Taufamen berühmt geworden und lange ein ungeliebter Sohn seiner Heimatstadt geblieben: Heinrich Heine. Die Schriften des anderen stehen seit Jahrzehnten an der Grenze zum Vergessen, schaffen es aber doch immer wieder, im Druck zu bleiben. Die Rede ist von Hermann Harry Schmitz (1880–1913). Schmitz wurde als Sohn eines Düsseldorfer Fabrikdirektors geboren, aber schon als Schüler aus der bürgerlichen Laufbahn herausgeworfen, als ihn die Tuberkulose zwang, die Schule für einen längeren Kuraufenthalt auf Korsika zu verlassen. Von seinem Vater in eine ungeliebte kaufmännische Lehre gezwungen, fing Schmitz ab dem Jahr 1906 an, sich als Autor kurzer, satirischer Texte zu etablieren. Die wenigen Jahren, die ihm blieben, verbrachte er als Dandy in seiner Heimatstadt, wo er nicht nur durch seine Satiren und Reisebeschreibungen bekannt war, sondern sich auch als beliebter Conférencier einen Namen machte.

Am bekanntesten dürfte sein »Buch der Katastrophen« sein. In den darin versammelten Texten spielt Schmitz seine Stärke aus, alltägliche Situationen in bis ins Absurde gesteigerte Katastrophen ausarten zu lassen, so etwa die erste Schwangerschaft im bürgerlichen Haushalt der Beckers, die von drei Tanten, drei Ammen und den modernen Gerätschaften zur Säuglingspflege in den Wahnsinn getrieben werden. Oder ein prächtiges Buch, der Stolz einer kleinen Familie, das verliehen wird und auf diesem Weg die ganze Familie ins Unglück stürzt. Eine hoch amüsante Lektüre für Freunde des absurden Humors.

Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Insel Taschenbuch 3186. ISBN: 978-3-458-34886-3. Preis: € 7,50.

Der Krieg des Charlie Wilson

Charlie Wilson (Tom Hanks) war von 1961 bis 1997 für Texas Mitglied des US-amerikanischen Kongresses. Er war auch Mitglied eines Kongress-Ausschusses, der für die Finanzierung von Geheimdienst-Operationen im Ausland zuständig war. Im April 1980 begann Charlie Wilson sich für die Situation in Afghanistan zu interessieren, das Ende 1979 von der Sowjetunion besetzt worden war. Seitdem führten dort afghanische Widerstandskämpfer einen aussichtslosen Krieg gegen die Besetzer. Sie erhielten zwar Unterstützung vom CIA, doch war das Budget so gering, dass ein effektiver Kampf gegen den technisch weit überlegenen Gegner nicht möglich war. Als Charlie Wilson auf diese Lage aufmerksam wird, verdoppelt er kurzerhand das entsprechende Budget.

Noch am selben Tag erhält er einen Anruf der texanischen Millionärin Joanne Herring (Julia Roberts), die über beste internationale Beziehungen verfügt und einen Kontakt zwischen Charlie und dem pakistanischen Präsidenten herstellt. Nachdem Charlie in Pakistan ein afghanisches Flüchtlingslager besucht hat, macht er den Kampf der Mudschahedin zu seiner Sache: Ihm gelingt es bis zum Rückzug der Sowjets im Jahr 1989 insgesamt eine Milliarde Dollar an Unterstützung für den Krieg in Afghanistan zu organisieren.

Regisseur Mike Nichols (»Wer hat Angst vor Virginia Woolf«, »Die Reifeprüfung«) hat mit »Der Krieg des Charlie Wilson« eine höchst vergnügliche und hervorragend besetzte Geschichtsstunde über ein weitgehend unbekanntes Kapitel der Geschichte des Kalten Krieges inszeniert.

»Der Krieg des Charlie Wilson«. USA, 2007. 1 DVD, Universal. Sprachen: Deutsch, Englisch, Ungarisch. Länge: ca. 98 Minuten. Extras: Making-of, Interviews mit Hanks und Roberts, Profil des wahren Charlie Wilson u. a. FSK: ab 12 Jahren. Preis: ca. € 9,–.

Tante Julia und der Kunstschreiber

Mario Vargas Llosa (geb. 1936) ist einer der populärsten Vertreter der südamerikanischen Literatur. Schon als Schüler begann der Peruaner zu schreiben, arbeitete als freier Journalist für lokale Zeitungen und brachte ein erstes Theaterstück auf die Bühne. Mit dem Roman »Die Stadt und die Hunde« hatte er 1962 seinen Durchbruch als Schriftsteller. Ab den 80-er Jahren wandte sich Vargas Llosa verstärkt der Politik zu, was 1990 in seiner Kandidatur für das Präsidentenamt Perus gipfelte. Er verlor damals die Stichwahl gegen Alberto Fujimori, der im Jahr 2000 wegen Korruptionsvorwürfen sein Amt räumen musste.

»Tante Julia und der Kunstschreiber« (1977) ist wahrscheinlich der humoristischste Roman Vargas Llosas. Sein Held, der 18-jährige Marito, der für einen kleinen Rundfunksender in Lima arbeitet, lernt am selben Tag zwei neue Menschen kennen: Seine geschiedene Tante Julia, in die er sich sofort haltlos verliebt, und den Autor Pedro Camacho, der für den Rundfunksender Radio-Novellas schreibt. Das Buch erzählt in einander abwechselnden Kapiteln einerseits die verwickelte Liebesgeschichte Julias und Maritos, der seine 14 Jahre ältere Tante unbedingt heiraten will, und andererseits Auszüge aus den diversen Radio-Novellas Pedros. Während Marito immer verzweifelter versucht, eine Person zu finden, die bereit ist, ihn mit Julia auch ohne Genehmigung von Maritos Eltern zu verheiraten, verirrt sich Pedro langsam aber sicher in seinen eigenen Geschichten, die er unter hohem Zeitdruck schreibt und die er, je länger sie werden, kaum noch auseinanderhalten kann. Beide Erzählstränge drohen, unaufhaltsam ins Chaos abzugleiten …

Mario Vargas Llosa: Tante Julia und der Kunstschreiber. Suhrkamp Taschenbuch 1520. ISBN: 978-3-518-38020-8. Preis: € 10,00.

Denken wir uns

Der große deutsche Humorist Robert Gernhardt (1937–2006) war als Maler und Autor eine echte Doppelbegabung und auf diese Weise ein würdiger Nachfolger Wilhelm Buschs. Er wurde in Tallinn, Estland, als Sohn eines Richters geboren, der 1945 fiel. Die Mutter floh mit ihren drei Söhnen in den Westen und ließ sich 1946 in Göttingen nieder. Robert Gernhardt besuchte nach Abschluss der Schule die Akademien in Stuttgart und Berlin und studierte dort Malerei. Ab dem Jahr 1964 lebte er als Maler, Karikaturist und Schriftsteller in Frankfurt am Main. Er arbeitete für die Satirezeitschrift »Pardon« und später auch für die  »Titanic«. Er war Mitbegründer und einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Neuen Frankfurter Schule.

Als Schriftsteller hat Gernhardt sowohl ein breites lyrisches als auch umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk geschaffen. In seiner humoristischen Lyrik verbindet sich oft sein zeichnerisches Talent mit seiner Neigung zum absurden Kurzgedicht.

Der Erzählband »Denken wir uns« erschien 2007 posthum als das letzte Buch, das Gernhardt noch selbst zusammengestellt hatte. Es enthält noch einmal eine breite Auswahl der Gernhardtschen Erzählkunst, von der absurden Anekdote bis zur historischen Erzählung, vom Essay bis zum metaphysisch-humoristschen Gedankenspiel. Die 26 Stücke werden eher locker dadurch verbunden, dass sie alle mit der Phrase »Denken wir uns« beginnen. Der schmale Band bietet eine gute Gelegenheit, die ganze Vielfalt des Gernhardtschen Erzählens Revue passieren zu lassen. Ein immer heiteres, gelegentlich aber auch nachdenklich stimmendes Büchlein.

Robert Gernhardt: Denken wir uns. Fischer Taschenbuch 17671. ISBN: 978-3-596-17671-7. Preis: € 9,95.

Die Haut

Curzio Malaparte (1898–1957, bürgerlich Kurt Erich Suckert) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei Romane weit über die Grenzen Italiens hinaus berühmt, die die schlagkräftigen Titel »Kaputt« und »Die Haut« tragen. Malaparte ist eine der schillerndsten Figuren der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sohn eines Sachsen und einer Mailänderin, in der Toskana geboren, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg Attaché in Warschau, ein früher Anhänger der italienischen Faschisten, aber zugleich auch einer ihrer Kritiker. Er wurde aus dem diplomatischen Dienst entlassen, arbeitete bis 1931 als Chefredakteur der Tageszeitung La Stampa. 1933 wurde er wegen kritischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen und auf die kleine Insel Lipari, nördlich von Sizilien, verbannt. Doch Malaparte kehrte bald aus der Verbannung zurück und arbeitet als Kriegsberichterstatter in Nordafrika, auf dem Balkan, in Russland und Finnland.

In »Die Haut« erzählt Malaparte als Ich-Erzähler von der Befreiung Italiens durch US-amerikanische Truppen. Es handelt sich dabei weniger um einen Roman im traditionellen Sinne, sondern mehr um eine journalistische Sammlung von Erlebnissen und Eindrücken, die sich zu einem Gesamtbild runden. Die Erzählung beginnt 1943 in Neapel und endet 1945 in Norditalien. Das erste Drittel des Buches ist dabei Neapel gewidmet und schildert eindrucksvoll, wie die traditionelle Volkskultur Neapels durch Elend, Hunger, Tod und nicht zuletzt auch durch die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern verändert und zerstört wird. Malaparte bewährt sich als moralischer, unbestechlicher, zugleich aber auch sentimentaler Beobachter.

Curzio Malaparte: Die Haut. Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Fischer Taschenbuch 17411. ISBN: 978-3-596-17411-9. Preis: € 12,95.

Mutmassungen über Jakob

Am 20. Juli 2009 wäre der Schriftsteller Uwe Johnson 75 Jahre alt geworden, wenn er nicht schon gut 25 Jahre zuvor an den Folgen seiner Alkoholsucht gestorben wäre. Sein vierbändiger Roman »Jahretage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl« ist heute schon ein Klassiker der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und einige seiner Bücher haben es sogar bis in den Kanon der Schullektüre geschafft; an prominenter Stelle seine »Mutmassungen über Jakob«, die schon durch das fehlende »ß« im Titel auffallen. Dieser Buchstabe fehlt auch sonst im ganzen Buch, und was die meisten Leser zusätzlich verstört, ist die eigenwillige Zeichensetzung Johnsons.

Die »Mutmassungen« sind ein guter Einstieg in die literarische Welt Uwe Johnsons, denn sie sind eine Art von Vorspiel zu den »Jahrestagen«. Erzählt wird die Geschichte von Jakob Abs, Beamter der Reichsbahn, der im Herbst 1956 im Alter von nur 28 Jahren von einer Lokomotive überfahren wird. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um einen Unfall, Selbstmord oder vielleicht sogar um einen politisch motivierten Mord handelt. Jakob ist der Geliebte Gesine Cresspahls, die 1956 bereits in den Westen geflüchtet ist und dort für die NATO arbeitet. Auch seine Mutter lebt in der BRD, während Jakob in der DDR versucht, ein unpolitisches Leben zu führen, was ihm aber nicht gelingen kann. Aufgrund seiner Verbindungen in die BRD steht er unter ständiger Beobachtung der Militärischen Spionageabwehr der DDR, deren Ziel es ist, Gesine als Spionin anzuwerben. Als Jakob zu Gesine in den Westen fährt, kehrt er nach nur wenigen Tagen in die DDR zurück. Noch am selben Abend geht er wie immer quer über die Gleise …

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob. Suhrkamp Taschenbuch 3128. ISBN: 978-3-518-39628-5. Preis: € 9,50.

Jeeves & Wooster

Berty Wooster und Jeeves gehören zu den beliebtesten Figuren aus den Büchern des englischen Humoristen P. G. Wodehouse (1881–1975). Berty Wooster ist ein etwas eingebildeter junger englischer Snob, im Hauptberuf Gentleman und die meiste Zeit damit beschäftigt, die Pläne seiner Tante Agatha, ihn zu verheiraten, zu torpedieren. Jeeves ist sein Valet, das, was man im Deutschen früher einen Kammerdiener genannt hat. Allerdings darf man sich Jeeves nicht zu dienerhaft vorstellen. Viel besser beschreibt ihn seine eigene Definition seiner Tätigkeit: Er ist ein Gentlemans Gentleman.

Die Geschichten um Jeeves und Wooster sind immer neue Variationen eines einfachen Grundmusters: Berty entwickelt irgendeinen ausgesucht komplizierten Plan, um seiner drohenden Verheiratung zu entgehen, oft, indem er versucht, die ihm zugedachte Gattin einem anderen Bewerber zuzuführen. Der Plan scheitert mit schöner, vorhersehbarer Notwendigkeit, und Berty wird aus einer für ihn höchst peinlichen Situation durch Jeeves Voraussicht oder rasche Auffassungsgabe gerettet.

Die BBC hat Anfang der 90-er Jahre eine 23-teilige Fernsehserie aus den Erzählungen um Jeeves und Berty gedreht. Der Erfolg dieser Serie ist in erster Linie den beiden Hauptdarstellern Hugh Laurie als Berty Wooster und Stephen Fry als Jeeves zu verdanken. Diese beiden, die in England auch als Komikerduo große Erfolge feiern konnten, verkörpern diese beiden sehr englischen Typen in einer so einmaligen Art und Weise, dass man sich bei der späteren Lektüre der Bücher die Figuren kaum anders vorstellen kann. Ein Hochgenuss für alle Freunde englischen Humors.

»Jeeves & Wooster«. UK, 1990–1993. 8 DVDs, KSM. Sprachen: Deutsch, Englisch. Länge: insges. ca. 1160 Minuten. FSK: ab 6 Jahren. Preis: ca. € 30,–.

Geheimagent Marlowe

Der britische Dramatiker Christopher Marlowe (1564–1593) war einer der Stars des elisabethanischen Theaters. Seine Stücke wie etwa »Das Massaker zu Paris« oder »Der Jude von Malta« waren zu seinen Lebzeiten große Publikumserfolge, und für die deutsche Literaturtradition ist natürlich seine Tragödie »D. Faustus« wichtig, denn in einer Puppenspiel-Bearbeitung des Stückes von Marlowe ist der junge Goethe dem Stoff zum ersten Mal begegnet.

Rätselhaft blieb aber für lange Zeit der frühe Tod Marlowes. Noch heute finden sich Darstellungen, Marlowe sei bei einer Wirtshaus-Schlägerei ums Leben gekommen. Doch 1925 wurde der Bericht des Leichenbeschauers zu Marlowes Tod aufgefunden und publiziert. Nach diesem Bericht war Marlowe bei seinem Tod in Gesellschaft dreier Männer, die alle dem Geheimdienst Elisabeths I. verbunden waren, und wurde angeblich in Notwehr niedergestochen. Es wird seitdem von den Biografen vermutet, dass auch Marlowe selbst als Agent tätig war, und zahlreiche neue Spekulationen um Marlowes Leben und Tod sind hieraus erwachsen.

Dieter Kühn, der in der Hauptsache durch seine zahlreichen Sachbücher bekannt geworden ist, hat mit »Geheimagent Marlowe« einen kleinen Roman geschrieben, der diese Spekulationen auf originelle Weise aufnimmt: In Form einer fiktiven Geheimdienst-Akte erzählt er von der Anwerbung Marlowes für einen Auftrag in Paris, von Marlowes Leben dort, seiner Enttarnung durch den französischen Geheimdienst sowie dem Versuch, ihn zum Doppelagenten zu machen, und schließlich von seiner Rückkehr nach England. Und auch für Marlowes Tod hat sich Kühn eine eigene Deutung einfallen lassen …

Dieter Kühn: Geheimagent Marlowe. Fischer Taschenbücher Bd. 17535. ISBN: 978-3-596-17535-2. Preis: € 9,95.

Hell und Schnell

Robert Gernhardt (1937–2006) war einer der bedeutendsten deutschsprachigen humoristischen Schriftsteller. Da er nicht nur dichterisch, sondern auch zeichnerisch begabt war, ist es ihm gelungen, auf seine ganz eigene, originelle Art an die Tradition Wilhelm Buschs anzuknüpfen und die Kombination aus humoristischem Vers und Bild zu immer neue Höhepunkten zu bringen. Aber Gernhardt hat nicht nur selbst komische Gedichte geschrieben, er hat auch zusammen mit Klaus Cäsar Zehrer eine der schönsten Sammlungen komischer deutschsprachiger Gedichte herausgeben.

Die Sammlung umfasst 555 Gedichte aus fünf Jahrhunderten und präsentiert alle Spielarten von der reinen Sprachspielerei über Blödeleien und Parodien bis hin zum Gedicht der echten Hochkomik. Natürlich finden sich auch zahlreiche Klassiker der komischen Lyrik, etwa Heinz Erhardts »Made mit dem Kinde«, Loriots »Advent« oder der beinahe schon komplett in den Volksmund übergegangene »Bumerang« von Joachim Ringelnatz. Aber zum ganz überwiegenden Teil lassen sich echte Entdeckungen machen, darunter auch Fälle unfreiwilligen Humors. So dichtete etwa der Hamburger Stadtrat Barthold Hinrichs Brockes in der ersten Hälfte der 18. Jahrhunderts das folgende »Augen-Lied«:

Hüben sich die Augen-Lieder
Durch die Muskeln selbst nicht auf,
Sondern sünken immer wieder,
(Ach man achte doch darauf!)
Wie erbärmlich würd’ es lassen,
Wenn man sie mit Händen fassen,
Und erst aufwärts schieben müsst’!
Merks, verstockter Atheist!

Robert Gernhardt / Klaus Cäsar Zehrer (Hg.): Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten. Fischer Taschenbücher Bd.15934. ISBN: 978-3-596-15934-5. Preis: € 15,00.

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