Die Rückseite des Hakenkreuzes

Alle Menschen sollte man – nur um einen Vorschlag zu machen – mit der Hinteransicht einer Tribüne vertraut machen, bevor man sie vor Tribünen versammelt. Wer jemals eine Tribüne von hinten anschaute, recht anschaute, wird von Stund an gezeichnet und somit gegen jegliche Zauberei, die in dieser oder jener Form auf Tribünen zelebriert wird, gefeit sein.

Das schrieb Günter Grass, der nach eigenem Bekenntnis als junger Mann selbst zu den Verführten des Dritten Reiches gehörte.

Im Sinne dieses Gegensatzes hat Helmut Heiber für sein Buch »Die Rückseite des Hakenkreuzes« in jahrzehntelanger Archivarbeit eine Sammlung von Aktenauszügen erstellt, die eine solche »Hinteransicht« zu den Haupt- und Staatsaktionen des Nazi-Staates liefert. Dabei geht es oft nur um Kleinigkeiten, die für sich genommen unwichtig erscheinen, aber durch den Umfang dieser Sammlung an Bedeutung gewinnen und deutlich machen, welchem Kontrollwahn die Herrschaftselite des Dritten Reiches unterlag. Zur Illustration sei nur ein Beispiel von unzähligen angeführt: Da beschließt die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde im Jahr 1942 auf ihrer Hauptversammlung, den zoologisch irreführenden Namen »Fledermaus« in »Fleder« zu ändern. Auf eine entsprechende Zeitungsmeldung hin ergeht der Führerbefehl, dies »umgehend rückgängig zu machen. Wenn die Mitglieder der Gesellschaft für Säugetierkunde nichts Kriegswichtigeres und Klügeres zu tun hätten, dann könnte man sie vielleicht einmal längere Zeit in Baubataillonen an der russischen Front verwenden.«

Ein historisches Lesebuch, bei dem man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr herauskommt!

Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderliches aus den Akten des »Dritten Reiches«. Hg. v. Beatrice u. Helmut Heiber. Wiesbaden: Matrix Verlag, 2005. ISBN: 978-3-86539-033-2. Preis: € 9,95.

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Aus dem Leben eines Taugenichts

Am 26. November jährt sich der Todestag von Joseph von Eichendorff zum 150. Mal. Als Eichendorff starb, hatte er seine Epoche so sehr überlebt, dass er es bereits mehrfach in Nachschlagewerken für tot erklärt worden war. Im Jahr 1851 übersandte Otto von Bismarck seiner Frau eine Ausgabe der Gedichte Eichendorffs und fragte im beiliegenden Brief erstaunt: »Weißt Du, daß der Mann noch lebt?«

Mit Eichendorff starb der letzte Vertreter der Romantik, und in den folgenden Jahren war es sein »Aus dem Leben eines Taugenichts«, der für viele zu einem der Musterstücke dieser Literaturepoche wurde. Seit dem Erscheinen der ersten Buchausgabe im Jahr 1826 blieb seine Beliebtheit bei den Lesern ungebrochen, und es folgten ungezählte, auch illustrierte Ausgaben. Erzählt wird in leichtem, immer ironischen Ton die Geschichte eines namenlosen Taugenichts, der mit schlafwandlerischer Sicherheit in die Welt hinein zieht, sorglos seine Geige spielt, sich verliebt, Gärtner und Steuereinnehmer wird, nach Italien reist, wo ihm die Rosinen von selbst in den Mund wachsen, und zum guten Schluss nach vielen Wirrungen auch seine geliebte schöne Frau und ein kleines Häuschen bekommt.

Anlässlich des Eichendorff-Jahres hat der Reclam Verlag eine großformatige, illustrierte Neuausgabe mit Bildern von Hans Traxler herausgegeben. Traxlers weiche und humorvolle Bilder spiegeln den Geist der Erzählung auf ganz wundervolle Weise wider; die Ausstattung des Bandes mit bedrucktem Leineneinband, hochwertigem Papier und Fadenheftung macht das Buch auch zu einem idealen Geschenk für sich und andere.

Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts. Mit 20 Bildern von Hans Traxler. Stuttgart: Reclam, 2007. ISBN: 978-3-15-010626-6. Preis: € 16,90.

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Von Büchern und Menschen

Als Alfred Andersch im Juni 1955 beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart zum verantwortlichen Redakteur unter anderem für das Nachtprogramm wurde, hatte er sich schon einige Jahre lang für seinen Altersgenossen Arno Schmidt (1914-1979) aktiv eingesetzt. Nun hatte Andersch endlich die Möglichkeit, Schmidt lukrative Aufträge zukommen zu lassen. Schmidt lebte damals noch in finanziell recht bedrängten Verhältnissen, denn seine Bücher verkauften sich nur schleppend und als Zubrot musste er englische Romane übersetzen.

Andersch erfand damals die Form des ›Radio-Essays‹, etwa einstündige, literarisch geprägte Funksendungen, die sich im Dialog zweier Sprecher intensiv eines Themas annahmen. Und so entstanden mit den Jahren auch zahlreiche Rundfunksendungen aus der Feder Arno Schmidts. Das Osnabrücker Musik- und Hörbuch-Label cpo hat vor einiger Zeit in Zusammenarbeit mit dem SWR eine Auswahl dieser Radio-Essays auf CD wieder zugänglich gemacht.

Natürlich werden dabei einige von Schmidts Hausheiligen abgehandelt, so etwa Karl May, Ludwig Tieck oder James Joyce. Aber es gibt auch echte Entdeckungen zu machen, wenn Schmidt zum Beispiel die Lyrik des spätbarocken Dichters Barthold Heinrich Brockes wegen ihrer Naturnähe und genauen Beobachtung lobt oder eine Einführung in die imaginären Welten gibt, in die sich die Geschwister Brontë miteinander geflüchtet haben und die damals in Deutschland noch praktisch unbekannt waren.

Inzwischen ist der ersten eine zweite Auswahl gefolgt, was für die fortbestehende Aktualität und Attraktivität dieser Rundfunk-Perlen der 50-er und 60-er Jahre spricht.

Arno Schmidt: Nachrichten von Büchern und Menschen. Elf originale Radio-Essays. Osnabrück: cpo, 2003. 12 CDs mit zusammen ca. 750 Minuten Laufzeit. € 39,99.

Thank You For Smoking

Nick Naylor (Aaron Eckhart) hat einen der schwierigsten Jobs, die man sich vorstellen kann: Er ist Repräsentant der amerikanischen Tabak-Industrie und deshalb einer der bestgehassten Männer in den USA. Nick liebt die Herausforderung seines Jobs, eine Interessengruppe zu verteidigen, die eigentlich nicht zu verteidigen ist. Er ist der führende Lobbyist einer Industrie, die sich allein in den USA täglich 1.200 Tote anrechnen lassen muss. Kurz gesagt: Nick Naylor ist hauptberuflicher Zyniker.

Eines Abends sitzt er vor dem Fernseher, und als sich John Wayne gerade eine Zigarette anstecken will, greift Nick unbewusst selbst zu seiner Packung – da hat er eine großartige Idee: Wie wäre es, wenn man Hollywood dazu bringen könnte, seine Stars wieder rauchen zu lassen? Nick fliegt deshalb nach Los Angeles und trifft sich mit dem Chef der wichtigsten PR-Agentur für Hollywood, um die Möglichkeiten zu sondieren. Auf dieser Reise begleitet ihn sein heranwachsender Sohn Joey (Cameron Bright), der sonst bei seiner Mutter und deren Freund lebt und den Nick nur an Wochenenden sieht. Joey vergöttert seinen Vater, bewundert ihn für seine rhetorische Überlegenheit und versucht, ihm nachzueifern.

Doch dann droht während einer der zahlreichen Talkshows, in denen Nick auftritt, einer der ins Studio geschalteten Anrufer, Nick innerhalb der nächsten Woche umzubringen …

»Thank You For Smoking« ist die Verfilmung eines amerikanischen Bestsellers, der ein bitterböses Portrait der amerikanischen Tabak-Industrie zeichnet. Regisseur Jason Reitman hat mit diesem Film seinen ersten internationalen Erfolg feiern können. Ein Film, bei dem einem oft genug das Lachen im Hals stecken bleibt.

»Thank You For Smoking«. USA, 2005. DVD, Twentieth Century Fox. Länge: ca. 88 Minuten. Sprachen: Deutsch, Englisch u. Türkisch. Extras: Nicht verwendete Szenen; Kommentar von Regisseur u. Schauspielern; Trailer. Preis: ca. € 10,-.

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Goethes letzte Reise

Sigrid Damm schreibt seit über zwanzig Jahren Biografien zu Personen im direkten Umfeld Goethes. Ihr Buch über »Christiane und Goethe« (1998), in dem Goethes langjährige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Christiane Vulpius im Mittelpunkt steht, war ihr bislang größter Publikumserfolg. Mit »Goethes letzte Reise« legt sie nun zum ersten Mal ein Buch vor, das sich direkt und unmittelbar mit der Person Goethes beschäftigt.

Das Buch ist keine Biografie im klassischen Sinne, sondern eine ausführliche Erzählung über Goethes letzte Lebensjahre. Den Rahmen bildet der letzte Ausflug Goethes im August 1831. Er fährt mit seinen beiden Enkeln Walther (13) und Wolfgang (10) ins nahe gelegene Ilmenau. Zweck der Reise ist es in erster Linie, den Weimarer Feierlichkeiten zu seinem 81. Geburtstag zu entgehen. Zwar ist dem alten Meister der Gedanke lieb, dass sich andere versammeln, um seiner zu gedenken, aber er selbst zieht sich gern von solchen Anlässen zurück und überlässt das Feiern anderen. Statt dessen begibt er sich diesmal mit seinen Enkeln auf den Kickelhahn, einen Berg in der Nähe Ilmenaus, und besucht dort die Jagdhütte, in der er 1780 sein berühmtes Gedicht »Über allen Gipfeln ist Ruh« geschrieben hat …

Sigrid Damm nutzt diesen letzten Ausflug des alten Goethe zu einem breit angelegten Porträt seiner letzten Lebensjahre. Sie thematisiert ausführlich den Abschluss des zweiten Teils des »Faust«, Goethes letzte Liebe zu Ulrike von Levetzow, den Verlust seines Sohnes August, der auf einer Reise in Rom stirbt, und schließlich auch die letzten Tage seines Lebens im März 1832.

Ein ruhiges und nachdenkliches Buch für Goethe-Freunde und jene, die es werden wollen.

Sigrid Damm: Goethes letzte Reise. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2007. ISBN: 978-3-458-17370-0. Preis: € 19,80.

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Lieblose Legenden

Mit zwei Büchern hat Wolfgang Hildesheimer von sich reden gemacht: Mit seiner Mozart-Biografie von 1977, die er selbst als sein »Lebensbuch« bezeichnet hat, und mit der vier Jahre später erschienenen fiktiven Biografie »Marbot«. Zuvor hatte er einige erfolgreiche Theaterstücke und Hörspiele verfasst, aber wirklich populär geworden ist er nie.

Dabei stand am Anfang seiner Karriere eines kleines, witziges Büchlein mit kurzen Erzählungen, die, leicht und ein wenig zum Absurden neigend, durchaus geeignet wären, Hildesheimer als einen der großen humoristischen Autoren der deutschen Sprache auszuzeichnen: »Lieblose Legenden« (1952). Gemeinsam ist den meisten dieser Erzählungen, dass sie die Erwartungen der Leser bewusst unterlaufen.

Da findet sich zum Beispiel »Das Märchen vom Riesen«, das zuerst ganz ordentlich anfängt mit einem Bauern, der zwei Söhne hat.

Der erste war arbeitsam und tapfer. Er bestellte seinem Vater das Feld (– der Vater brauchte es nur abzuholen –) und zog aus, das Land von Drachen, Räubern und anderen Schädlingen zu befreien. Der zweite aber war faul und lebte in den Tag hinein.

Als ein Riese im Land auftaucht, zieht der tapfere Müllersohn aus, ihn zu töten, wird aber kurzerhand von Riesen gefressen. Dagegen legt sich der faule Sohn ins Feld, wo ihn zufällig die Prinzessin entdeckt, sich in ihn verliebt und ihn heiratet. Und das große Hochzeitsfest endet damit, dass am achten Tag der Riese auftaucht und alle Anwesenden verspeist,

und wenn er daran nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Auch die meisten anderen Geschichten der »Lieblosen Legenden« überzeugen durch den trockenen und lakonischen Humor ihres Autors.

Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden. Bibliothek Suhrkamp Bd.84. ISBN: 978-3-518-01084-6. Preis: € 12,80.

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Der Index

Über die Tätigkeit der Index-Kongregation, der vatikanischen Zensurbehörde, war der Öffentlichkeit jahrhundertelang kaum etwas bekannt. Als der Vatikan dann 1998 seine Archive einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte, konnten Kirchenhistoriker erstmals auch einen Blick in deren Akten werfen und sich einen Eindruck von den Verfahrensweisen und den verhandelten Fällen verschaffen. Von zahlreichen Verfahren wusste man bis dahin nichts, da nur dann, wenn ein Buch schließlich verboten wurde, eine entsprechende Eintragung im Index librorum prohibitorum, dem Verzeichnis der verbotenen Bücher, auftauchte.

Hubert Wolf, renommierter Kirchenhistoriker, leitet eine Arbeitsgruppe, die seit vielen Jahren damit beschäftigt ist, die Akten der katholischen Zensurbehörde zu sichten, zu edieren und zum Druck zu befördern. Er hat mit seinem Buch »Index« eine erste auch für den Laien lesbare Darstellung der fast 400-jährigen Tätigkeit der Index-Kongregation geschrieben.

Das Buch hat zwei Teile: Der erste enthält eine Überblicksdarstellung der Geschichte des Index von seiner Entstehung im 16. Jahrhundert als Reaktion auf die Erfindung des Buchdrucks bis hin zu seiner Aufhebung im Jahr 1966. Der zweite Teil stellt exemplarisch neun Verfahren vor, von denen sich vier mit belletristischen Schriftstellern befassen (Knigge, Heine, Beecher Stowe und Karl May), während die anderen Fälle theologische bzw. kirchenhistorische Schriften betreffen. An diesen Beispielen führt Wolf mit großer Sorgfalt die Vorgehensweisen, Argumentationen und Einflüsse vor, die die Verfahren geprägt haben – eine detaillierte historische Spurensuche in den geheimen Akten des Vatikans.

Hubert Wolf: Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. Beck’sche Reihe 1749. ISBN: 978-3-406-54778-2. Preis: € 12,95.

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Die Queen

Beinahe ein Jahrzehnt nach den Ereignissen hat der englische Regisseur Stephen Frears (»Gefährliche Liebschaften«, »High Fidelity«) mit seinem Film »Die Queen« die krisenhafte Woche zwischen dem tödlichen Autounfall Lady Diana Spencers und ihrer Beisetzung zu einem eindringlichen Drama verdichtet. Im Mittelpunkt steht König Elisabeth II. (Helen Mirren), die mehrere Tage lang versucht, Dianas Tod als eine private Angelegenheit der Familie Spencer zu behandeln und damit einen massiven Popularitätsverlust des Königshauses verursacht.

In dieser Zeit fällt dem frisch gewählten Premierminister Englands, Tony Blair (Michael Sheen), die Rolle eines Gegenspielers und Mahners zu, die er mehr gezwungenermaßen als freiwillig auf sich nimmt. Während sich die königliche Familie im schottischen Balmoral Castle aufhält und der zunehmend negativen Stimmung in der Bevölkerung mit Unverständnis und teilweise Snobismus begegnet, schätzt Tony Blair den Unmut in der britischen Bevölkerung und die internationale Irritation über das Schweigen des Königshauses weit richtiger ein.

Doch der Königin wird erst langsam klar, dass sie die Lage vielleicht falsch wahrnimmt, und erst als Tony Blair sich schließlich dazu durchringt, der Königin eine offizielle Empfehlung für ihr Verhalten zu geben, entschließt sie sich entgegen ihrer inneren Überzeugung, diesem Rat zu folgen …

Der Film vermeidet jede einseitige Stellungnahme zu den Ereignissen. Er lebt von einer sehr persönlichen Perspektive auf das Königshaus und der grandiosen Leistung von Helen Mirren, die dafür 2007 mit dem Oscar für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde.

»Die Queen«. GB, Frankreich, Italien, 2006. DVD, Concorde. Länge: ca. 99 Minuten. Sprachen: Englisch u. Deutsch. Extras: Making-of, Audio-Kommentar von Regisseur und Drehbuch-Autor. FSK: ab 6 Jahre. Preis: ca. € 15,-.

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Des Teufels Wörterbuch

Ambrose Bierce (1842-1914) ist in Deutschland als Autor beinahe nur für eine einzige seiner Kurzgeschichte und eines seiner Bücher bekannt. Die Kurzgeschichte trägt den Titel »Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke« und erzählt eine Episode aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg: Peyton Farquhar soll auf der Eisenbahnbrücke über den Owl Creek mit dem Strang hingerichtet werden. Doch als er hinterstürzt, reißt der Strick. Er fällt in den Fluss, und damit beginnt eine abenteuerliche Flucht zurück zu seiner Familie. Die Geschichte ist berühmt geworden, weil sie im letzten Absatz eine unerwartete Wendung bringt, die alles Erzählte mit einem Schlag in ein anderes Licht rückt. Man darf sagen, dass dieser erzählerische Trick Schule gemacht hat, aber nur selten so effektvoll angewendet worden ist wie in dieser Vorlage.

Das Buch von Bierce aber, das ihn bekannt gemacht hat, ist »Des Teufels Wörterbuch«. Es enthält kurze, böse, oft auch zynische Definitionen eigentlich harmloser Begriffe:

Malerei, die – Kunst, Flächen vor dem Wetter zu schützen und sie dem Kritiker preiszugeben.

Oder:

Heiliger, der – Toter Sünder; bearbeitet und neu herausgegeben.

Mit solchen Definitionen verdiente sich Bierce zu Lebzeiten viele Anfeindungen, und er bekam den Spitznamen »Bitterer Bierce« angehängt, den er wahrscheinlich mit einem gewissen Stolz trug. Zugleich begründete das »Wörterbuch« aber auch Bierce‘ anhaltenden, weltweiten Ruhm. Aufgrund der zum Teil tagespolitischen und parodistischen Anspielungen existieren bis heute nur Teilübersetzungen ins Deutsche, von denen diejenige des renommierten Autors und Übersetzers Gisbert Haefs die witzigste und pointierteste ist.

Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch. Aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs. Area Verlag, 2006. ISBN: 3-89996-865-4. Preis: € 5,00.

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Der Boxer

Am 30. September 2007 wäre Jurek Becker vielleicht 70 Jahre alt geworden. Vielleicht, denn er kannte sein tatsächliches Geburtsdatum selbst nicht: Beckers Vater hatte seinen Sohn im Ghetto von Lodz um einige Jahre älter gemacht, um ihn wenigstes vorerst vor der Deportation zu bewahren. Jurek kam dann 1944 zusammen mit seiner Mutter ins KZ Ravensbrück. Seine Mutter starb an den Folgen der Inhaftierung, noch nachdem das Lager von der Sowjet-Armee befreit worden war. Als Jureks Vater seinen Sohn schließlich wiederfand, hatte er dessen Geburtsdatum schlicht vergessen. Und so wurde durch eine eidesstattliche Erklärung der 30. September 1937 dazu gemacht.

Jurek Becker hat vieles von den Erfahrungen und dem Charakter seines Vaters in seinem Roman »Der Boxer« (1976) verarbeitet: Protagonist ist der KZ-Überlebende Aron Blank. Aron sucht sich seinen Platz in der Ostberliner Nachkriegswelt: Er ändert seinen Vornamen in Arno, macht sich sechs Jahre jünger und arbeitet zuerst als Buchhalter eines Schwarzmarkt-Königs, später als Dolmetscher der sowjetischen Besatzer. Aber der Mittelpunkt seines Lebens ist Mark, das einzige seiner drei Kinder, das den Holocaust überlebt hat. Aron sorgt dafür, dass der kranke Mark aus dem süddeutschen Lager nach Berlin verlegt wird, versorgt ihn mit Lebensmitteln, um ihn wieder aufzupäppeln, und als Mark endlich nach Hause entlassen wird, verpflichtet er Marks Lieblings-Krankenschwester als Haushälterin und nicht zuletzt als Geliebte. Trotz diesem Versuch, Mark wenigstens das Grundgerüst einer Familie zu bieten, gelingt es Aron nie, seine eigene Isolation zu durchbrechen. Und so wird es mit den Jahren immer einsamer um ihn her …

Jurek Becker: Der Boxer. Suhrkamp Taschenbuch 2954. ISBN: 978-3-518-39454-0. Preis: € 6,99.

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