Lieblose Legenden

Mit zwei Büchern hat Wolfgang Hildesheimer von sich reden gemacht: Mit seiner Mozart-Biografie von 1977, die er selbst als sein »Lebensbuch« bezeichnet hat, und mit der vier Jahre später erschienenen fiktiven Biografie »Marbot«. Zuvor hatte er einige erfolgreiche Theaterstücke und Hörspiele verfasst, aber wirklich populär geworden ist er nie.

Dabei stand am Anfang seiner Karriere eines kleines, witziges Büchlein mit kurzen Erzählungen, die, leicht und ein wenig zum Absurden neigend, durchaus geeignet wären, Hildesheimer als einen der großen humoristischen Autoren der deutschen Sprache auszuzeichnen: »Lieblose Legenden« (1952). Gemeinsam ist den meisten dieser Erzählungen, dass sie die Erwartungen der Leser bewusst unterlaufen.

Da findet sich zum Beispiel »Das Märchen vom Riesen«, das zuerst ganz ordentlich anfängt mit einem Bauern, der zwei Söhne hat.

Der erste war arbeitsam und tapfer. Er bestellte seinem Vater das Feld (– der Vater brauchte es nur abzuholen –) und zog aus, das Land von Drachen, Räubern und anderen Schädlingen zu befreien. Der zweite aber war faul und lebte in den Tag hinein.

Als ein Riese im Land auftaucht, zieht der tapfere Müllersohn aus, ihn zu töten, wird aber kurzerhand von Riesen gefressen. Dagegen legt sich der faule Sohn ins Feld, wo ihn zufällig die Prinzessin entdeckt, sich in ihn verliebt und ihn heiratet. Und das große Hochzeitsfest endet damit, dass am achten Tag der Riese auftaucht und alle Anwesenden verspeist,

und wenn er daran nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Auch die meisten anderen Geschichten der »Lieblosen Legenden« überzeugen durch den trockenen und lakonischen Humor ihres Autors.

Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden. Bibliothek Suhrkamp Bd.84. ISBN: 978-3-518-01084-6. Preis: € 12,80.