Der Ruinenbaumeister

Herbert Rosendorfer, geb. 1934, ist einer der produktivsten deutschsprachigen Schriftsteller der Nachkriegszeit und das, obwohl er im Hauptberuf Jurist war und bis zu seiner Pensionierung 1997 als Amtsrichter in MĂŒnchen und zuletzt in Naumburg tĂ€tig gewesen ist. Bereits 1969, noch als Gerichtsassessor in Bayreuth, veröffentlichte er seine ersten BĂŒcher: Einen satirischen StadtfĂŒhrer »Bayreuth fĂŒr AnfĂ€nger«, den er unter Pseudonym erscheinen ließ, da er befĂŒrchtete in der Provinzstadt Bayreuth sonst einigen Anfeindungen ausgesetzt zu sein, und seinen ersten Roman »Der Ruinenbaumeister«. Seitdem erschienen mit großer RegelmĂ€ĂŸigkeit Romane, ErzĂ€hlungen und SachbĂŒcher, aber auch einige TheaterstĂŒcke und DrehbĂŒcher fĂŒr das deutsche Fernsehen. Seinen grĂ¶ĂŸten Erfolg dĂŒrfte er 1985 gehabt haben, als die ErzĂ€hlung »Briefe in die chinesische Vergangenheit« sich zu seinem besten Verkaufserfolg entwickelte. Derzeit schreibt Herbert Rosendorfer an einer umfangreichen deutschen Geschichte, einer historischen ErzĂ€hlung von einem Laien fĂŒr Laien, von der bislang fĂŒnf BĂ€nde vorliegen.

»Der Ruinenbaumeister« nennt sich zwar Roman, ist im Wesentlichen aber eine Sammlung humorvoller, phantastischer und skurriler ErzĂ€hlungen, die auf vielfĂ€ltige und sonderbare Weise miteinander verknĂŒpft und ineinander verwoben sind. Die Rahmenhandlung bildet eine Traumwelt, in der eine Gruppe von Menschen vor dem Weltuntergang in eine sonderbare Konstruktion, Zigarre genannte, fliehen muss. Dort verbringen sie scheinbar sorglos ihre Zeit damit, sich gegenseitig Geschichten und TrĂ€ume zu erzĂ€hlen. Ein phantasievolles Leseabenteuer, wie man es sonst nur selten findet.

Herbert Rosendorfer: Der Ruinenbaumeister. dtv 11391. ISBN: 978-3-423-11391-5. Preis: € 10,-.

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Napoleon I.

Wenn man sich fragt, welche Einzelperson den grĂ¶ĂŸten Einfluss auf das Europa des 19. Jahrhunderts gehabt hat, so gehört Napoleon Bonaparte ganz sicherlich zu den ersten Kandidaten. Sohn einer alteingesessenen korsischen Familie, wird Napoleon fĂŒr den MilitĂ€rdienst bestimmt und durchlĂ€uft bis 1785 erfolgreich die Ausbildung fĂŒr Offiziere. 1789 bricht die französische Revolution aus, die die gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse Frankreichs von unten nach oben kehrt. Ab 1793 beginnt dann Napoleons Aufstieg zur Macht: Nach der RĂŒckeroberung von Toulon wird er Brigadegeneral, 1795 beweist er bei der Niederschlagung eines royalistischen Aufstands »republikanische Gesinnung« und wird 1796 Oberbefehlshaber der sogenannten Italienarmee Frankreichs.

Mit seinen militĂ€rischen Erfolgen und seinem politischen Geschick im Krieg in Oberitalien legt Napoleon das Fundament fĂŒr die Übernahme der Macht in Paris, die schließlich 1799 erfolgt. Napoleon erklĂ€rt die Revolution fĂŒr beendet und beginnt mit der Eroberung Europas: Binnen weniger Jahre besiegt er die GroßmĂ€chte Österreich und Preußen, erobert mit Ausnahme Groß-Britanniens und der Schweiz ganz Westeuropa und versucht schließlich, Russland niederzuzwingen. Auch wenn Napoleon am Ende scheitert und besiegt wird, so haben doch die Jahre der napoleonischen Herrschaft Europa fĂŒr immer verĂ€ndert.

Johannes Willms, Historiker und Journalist und einer der besten deutschen Frankreich-Kenner, hat 2005 eine gut lesbare und beeindruckend kenntnisreiche Biographie Napoleons vorgelegt. Mit zahlreichen Briefzeugnissen lÀsst er ein lebendiges PortrÀt dieses militÀrischen und machtpolitischen Genies entstehen.

Johannes Willms: Napoleon. MĂŒnchen: Pantheon, 2007. ISBN: 978-3-570-55029-8. Preis: € 16,95.

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Die Abenteuer von Igelfelds

Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld weiß seine Bedeutung durchaus einzuschĂ€tzen: Nicht nur steht sein Name fĂŒr einen alten Adel, der ihn beinahe berechtigen wĂŒrde, sich Baron von Igelfeld zu nennen, sondern auch sein bedeutendes Buch »Portugiesische unregelmĂ€ĂŸige Verben«, das das Thema auf 1.200 Seiten erschöpfend behandelt, lassen ihn seine minder bedeutenden Kollegen Professor Dr. Dr. h.c. Florianus Prinzel und Professor Dr. Amadeus Unterholzer turmhoch ĂŒberragen. Zusammen bilden diese drei Professoren den Kern des Romanistischen Instituts der UniversitĂ€t Regensburg, und genauso obskur, wie sich das hier liest, ist das Buch von Alexander McCall Smith auch geraten.

Der subtile Humor der Geschichten ĂŒber den etwas weltfremden und egozentrischen Professor braucht einige Seiten, um sich voll zu entfalten, wirkt dann aber um so intensiver: GleichgĂŒltig ob Igelfeld versucht, seiner italienischen Pensionsmutter ihr Vorurteil gegen Deutsche auszutreiben, oder ob er dem Papst in der Vatikanischen Bibliothek den Mund verbietet oder einen spontanen Vortrag ĂŒber Dackel hĂ€lt, nie verlĂ€sst ihn sein angeborenes Selbstbewusstsein und seine natĂŒrliche Überheblichkeit.

Der Autor McCall Smith ist im Hauptberuf Jura-Professor und mit KinderbĂŒchern und Kriminalromanen bekannt geworden. Aus einer Laune heraus erfand er den deutschen Professor von Igelfeld, dessen Erlebnisse er dann in drei rasch nacheinander entstandenen BĂŒchlein erzĂ€hlte. Die deutsche Ausgabe fasst alle drei BĂ€nde in guter Übersetzung zusammen und ĂŒbernimmt auch die Illustrationen der Originalausgaben.

Alexander McCall Smith: Die verschmĂ€hten Schriften der Professor vom Igelfeld. MĂŒnchen: Blessing, 2007. ISBN: 978-3-89667-268-1. Preis: € 19,95.

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Eine Brief-Freundschaft

Wir schreiben das Jahr 1949. In New York lebt die noch weitgehend unbekannte Schriftstellerin Helene Hanff, die – wie viele Schriftsteller – auch eine leidenschaftliche Leserin ist. In New York aber findet sie die BĂŒcher, die sie sucht (Klassiker der Antike und englische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts), nicht oder nur in sehr teueren Ausgaben. Deshalb schreibt sie am 5. Oktober einen ersten Brief an das Londoner Antiquariat Marks & Co. in der Charing Cross Road, in der der BĂŒcherfreund auch heute noch zahlreiche gute Antiquariate finden kann. 20 Tage spĂ€ter gibt Frank Doel, Angestellter bei Marks & Co., zwei der fĂŒnf gesuchten BĂŒcher auf den Postweg nach New York.

Dies ist der Beginn einer erstaunlichen Freundschaft zwischen der US-amerikanischen Autorin und den Angestellten des Londoner Antiquariats. Als Helene Hanff kurze zeit spĂ€ter erfĂ€hrt, dass die EnglĂ€nder aufgrund der Kriegsfolgen immer noch in Ă€rmlichsten VerhĂ€ltnissen und von rationierten Lebensmitteln leben mĂŒssen, sendet sie spontan ein Lebensmittelpaket an ihre BuchhĂ€ndler. Damit ist das Eis gebrochen, und aus der geschĂ€ftlichen Korrespondenz entwickelt sich Schritt fĂŒr Schritt erst ein persönlicher Gedankenaustausch ĂŒber Gott und die Welt und schließlich auch die Anteilnahme an familiĂ€ren Ereignissen und Geschichten.

Helene Hanff und Frank Doel haben einander nie persönlich kennengelernt. Und nur die Briefe dieses schmalen BĂ€ndchens blieben als Zeugnis fĂŒr ihre ganz außergewöhnliche Freundschaft erhalten. »84, Charing Cross Road« wurde, mit Anne Bancroft und Anthony Hopkins in den Hauptrollen, unter dem Titel »Zwischen den Zeilen« auch verfilmt.

Helene Hanff: 84, Charing Cross Road. Eine Freundschaft in Briefen. btb Taschenbuch 73129. ISBN: 978-3-442-73129-9. Preis: € 7,00.

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Das Wetter vor 15 Jahren

Vittorio Kowalski wird bei »Wetten, dass..?« Wettkönig, weil er fĂŒr jeden einzelnen Tag der vergangenen 15 Jahre das Wetter kennt, das in einem kleinen Alpendorf geherrscht hat. Es ist das Dorf, in dem er als Junge zusammen mit seine Eltern viele Jahre Urlaub gemacht hat. In dem Jahr, in dem sich aus einer Kinderfreundschaft mit Anni eine erste Liebe entwickelt, reisen die Eltern vorzeitig ab und fahren anschließend nie wieder in diesen Ort. Vittorio glaubt, dies sei seine Schuld, denn wĂ€hrend er sich mit Anni in einer HĂŒtte geliebt hat, ist draußen im Unwetter Annis Vater ums Leben gekommen.

Voller SchuldgefĂŒhle bricht er zwar den Ă€ußeren Kontakt ab, hĂ€lt ihn aber innerlich aufrecht, in dem er das Wetter im Dorf Tag fĂŒr Tag auswendig lernt. Erst durch seinen Auftritt bei »Wetten, dass..?« kommt es wieder zum Kontakt mit Anni, die immer noch im Dorf lebt. Vittorio fĂ€hrt zu ihr, erfĂ€hrt von ihrer bald bevorstehenden Heirat und wird auf einem einsamen Spaziergang in genau der HĂŒtte, die damals den beiden Jugendlichen Zuflucht geboten hat, verschĂŒttet. WĂ€hrend der Tage, die er in der HĂŒtte eingeschlossen verbringt, macht er eine Entdeckung, die die vergangenen Ereignisse in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen …

Wolf Haas, der zuvor schon als Krimiautor erfolgreich war, erzĂ€hlt diese Geschichte auf eine höchst originelle Weise, nĂ€mlich als Interview zwischen ihrem Autor und einer Journalistin. Dadurch steht weniger die Liebesgeschichte als vielmehr der Prozess des Schreibens im Mittelpunkt. Nur StĂŒck fĂŒr StĂŒck erfĂ€hrt der Leser den Inhalt des in Wirklichkeit ungeschriebenen Romans um Vittorio Kowalski.

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2006. ISBN: 978-3-455-40004-5. Preis: € 18,95.

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Die RĂŒckseite des Hakenkreuzes

Alle Menschen sollte man – nur um einen Vorschlag zu machen – mit der Hinteransicht einer TribĂŒne vertraut machen, bevor man sie vor TribĂŒnen versammelt. Wer jemals eine TribĂŒne von hinten anschaute, recht anschaute, wird von Stund an gezeichnet und somit gegen jegliche Zauberei, die in dieser oder jener Form auf TribĂŒnen zelebriert wird, gefeit sein.

Das schrieb GĂŒnter Grass, der nach eigenem Bekenntnis als junger Mann selbst zu den VerfĂŒhrten des Dritten Reiches gehörte.

Im Sinne dieses Gegensatzes hat Helmut Heiber fĂŒr sein Buch »Die RĂŒckseite des Hakenkreuzes« in jahrzehntelanger Archivarbeit eine Sammlung von AktenauszĂŒgen erstellt, die eine solche »Hinteransicht« zu den Haupt- und Staatsaktionen des Nazi-Staates liefert. Dabei geht es oft nur um Kleinigkeiten, die fĂŒr sich genommen unwichtig erscheinen, aber durch den Umfang dieser Sammlung an Bedeutung gewinnen und deutlich machen, welchem Kontrollwahn die Herrschaftselite des Dritten Reiches unterlag. Zur Illustration sei nur ein Beispiel von unzĂ€hligen angefĂŒhrt: Da beschließt die Deutsche Gesellschaft fĂŒr SĂ€ugetierkunde im Jahr 1942 auf ihrer Hauptversammlung, den zoologisch irrefĂŒhrenden Namen »Fledermaus« in »Fleder« zu Ă€ndern. Auf eine entsprechende Zeitungsmeldung hin ergeht der FĂŒhrerbefehl, dies »umgehend rĂŒckgĂ€ngig zu machen. Wenn die Mitglieder der Gesellschaft fĂŒr SĂ€ugetierkunde nichts Kriegswichtigeres und KlĂŒgeres zu tun hĂ€tten, dann könnte man sie vielleicht einmal lĂ€ngere Zeit in Baubataillonen an der russischen Front verwenden.«

Ein historisches Lesebuch, bei dem man aus dem KopfschĂŒtteln gar nicht mehr herauskommt!

Die RĂŒckseite des Hakenkreuzes. Absonderliches aus den Akten des »Dritten Reiches«. Hg. v. Beatrice u. Helmut Heiber. Wiesbaden: Matrix Verlag, 2005. ISBN: 978-3-86539-033-2. Preis: € 9,95.

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Aus dem Leben eines Taugenichts

Am 26. November jĂ€hrt sich der Todestag von Joseph von Eichendorff zum 150. Mal. Als Eichendorff starb, hatte er seine Epoche so sehr ĂŒberlebt, dass er es bereits mehrfach in Nachschlagewerken fĂŒr tot erklĂ€rt worden war. Im Jahr 1851 ĂŒbersandte Otto von Bismarck seiner Frau eine Ausgabe der Gedichte Eichendorffs und fragte im beiliegenden Brief erstaunt: »Weißt Du, daß der Mann noch lebt?«

Mit Eichendorff starb der letzte Vertreter der Romantik, und in den folgenden Jahren war es sein »Aus dem Leben eines Taugenichts«, der fĂŒr viele zu einem der MusterstĂŒcke dieser Literaturepoche wurde. Seit dem Erscheinen der ersten Buchausgabe im Jahr 1826 blieb seine Beliebtheit bei den Lesern ungebrochen, und es folgten ungezĂ€hlte, auch illustrierte Ausgaben. ErzĂ€hlt wird in leichtem, immer ironischen Ton die Geschichte eines namenlosen Taugenichts, der mit schlafwandlerischer Sicherheit in die Welt hinein zieht, sorglos seine Geige spielt, sich verliebt, GĂ€rtner und Steuereinnehmer wird, nach Italien reist, wo ihm die Rosinen von selbst in den Mund wachsen, und zum guten Schluss nach vielen Wirrungen auch seine geliebte schöne Frau und ein kleines HĂ€uschen bekommt.

AnlĂ€sslich des Eichendorff-Jahres hat der Reclam Verlag eine großformatige, illustrierte Neuausgabe mit Bildern von Hans Traxler herausgegeben. Traxlers weiche und humorvolle Bilder spiegeln den Geist der ErzĂ€hlung auf ganz wundervolle Weise wider; die Ausstattung des Bandes mit bedrucktem Leineneinband, hochwertigem Papier und Fadenheftung macht das Buch auch zu einem idealen Geschenk fĂŒr sich und andere.

Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts. Mit 20 Bildern von Hans Traxler. Stuttgart: Reclam, 2007. ISBN: 978-3-15-010626-6. Preis: € 16,90.

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Goethes letzte Reise

Sigrid Damm schreibt seit ĂŒber zwanzig Jahren Biografien zu Personen im direkten Umfeld Goethes. Ihr Buch ĂŒber »Christiane und Goethe« (1998), in dem Goethes langjĂ€hrige LebensgefĂ€hrtin und spĂ€tere Ehefrau Christiane Vulpius im Mittelpunkt steht, war ihr bislang grĂ¶ĂŸter Publikumserfolg. Mit »Goethes letzte Reise« legt sie nun zum ersten Mal ein Buch vor, das sich direkt und unmittelbar mit der Person Goethes beschĂ€ftigt.

Das Buch ist keine Biografie im klassischen Sinne, sondern eine ausfĂŒhrliche ErzĂ€hlung ĂŒber Goethes letzte Lebensjahre. Den Rahmen bildet der letzte Ausflug Goethes im August 1831. Er fĂ€hrt mit seinen beiden Enkeln Walther (13) und Wolfgang (10) ins nahe gelegene Ilmenau. Zweck der Reise ist es in erster Linie, den Weimarer Feierlichkeiten zu seinem 81. Geburtstag zu entgehen. Zwar ist dem alten Meister der Gedanke lieb, dass sich andere versammeln, um seiner zu gedenken, aber er selbst zieht sich gern von solchen AnlĂ€ssen zurĂŒck und ĂŒberlĂ€sst das Feiern anderen. Statt dessen begibt er sich diesmal mit seinen Enkeln auf den Kickelhahn, einen Berg in der NĂ€he Ilmenaus, und besucht dort die JagdhĂŒtte, in der er 1780 sein berĂŒhmtes Gedicht Â»Ăœber allen Gipfeln ist Ruh« geschrieben hat …

Sigrid Damm nutzt diesen letzten Ausflug des alten Goethe zu einem breit angelegten PortrĂ€t seiner letzten Lebensjahre. Sie thematisiert ausfĂŒhrlich den Abschluss des zweiten Teils des »Faust«, Goethes letzte Liebe zu Ulrike von Levetzow, den Verlust seines Sohnes August, der auf einer Reise in Rom stirbt, und schließlich auch die letzten Tage seines Lebens im MĂ€rz 1832.

Ein ruhiges und nachdenkliches Buch fĂŒr Goethe-Freunde und jene, die es werden wollen.

Sigrid Damm: Goethes letzte Reise. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2007. ISBN: 978-3-458-17370-0. Preis: € 19,80.

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Lieblose Legenden

Mit zwei BĂŒchern hat Wolfgang Hildesheimer von sich reden gemacht: Mit seiner Mozart-Biografie von 1977, die er selbst als sein »Lebensbuch« bezeichnet hat, und mit der vier Jahre spĂ€ter erschienenen fiktiven Biografie »Marbot«. Zuvor hatte er einige erfolgreiche TheaterstĂŒcke und Hörspiele verfasst, aber wirklich populĂ€r geworden ist er nie.

Dabei stand am Anfang seiner Karriere eines kleines, witziges BĂŒchlein mit kurzen ErzĂ€hlungen, die, leicht und ein wenig zum Absurden neigend, durchaus geeignet wĂ€ren, Hildesheimer als einen der großen humoristischen Autoren der deutschen Sprache auszuzeichnen: »Lieblose Legenden« (1952). Gemeinsam ist den meisten dieser ErzĂ€hlungen, dass sie die Erwartungen der Leser bewusst unterlaufen.

Da findet sich zum Beispiel »Das MÀrchen vom Riesen«, das zuerst ganz ordentlich anfÀngt mit einem Bauern, der zwei Söhne hat.

Der erste war arbeitsam und tapfer. Er bestellte seinem Vater das Feld (– der Vater brauchte es nur abzuholen –) und zog aus, das Land von Drachen, RĂ€ubern und anderen SchĂ€dlingen zu befreien. Der zweite aber war faul und lebte in den Tag hinein.

Als ein Riese im Land auftaucht, zieht der tapfere MĂŒllersohn aus, ihn zu töten, wird aber kurzerhand von Riesen gefressen. Dagegen legt sich der faule Sohn ins Feld, wo ihn zufĂ€llig die Prinzessin entdeckt, sich in ihn verliebt und ihn heiratet. Und das große Hochzeitsfest endet damit, dass am achten Tag der Riese auftaucht und alle Anwesenden verspeist,

und wenn er daran nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Auch die meisten anderen Geschichten der »Lieblosen Legenden« ĂŒberzeugen durch den trockenen und lakonischen Humor ihres Autors.

Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden. Bibliothek Suhrkamp Bd.84. ISBN: 978-3-518-01084-6. Preis: € 12,80.

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Der Index

Über die TĂ€tigkeit der Index-Kongregation, der vatikanischen Zensurbehörde, war der Öffentlichkeit jahrhundertelang kaum etwas bekannt. Als der Vatikan dann 1998 seine Archive einer breiteren Öffentlichkeit zugĂ€nglich machte, konnten Kirchenhistoriker erstmals auch einen Blick in deren Akten werfen und sich einen Eindruck von den Verfahrensweisen und den verhandelten FĂ€llen verschaffen. Von zahlreichen Verfahren wusste man bis dahin nichts, da nur dann, wenn ein Buch schließlich verboten wurde, eine entsprechende Eintragung im Index librorum prohibitorum, dem Verzeichnis der verbotenen BĂŒcher, auftauchte.

Hubert Wolf, renommierter Kirchenhistoriker, leitet eine Arbeitsgruppe, die seit vielen Jahren damit beschĂ€ftigt ist, die Akten der katholischen Zensurbehörde zu sichten, zu edieren und zum Druck zu befördern. Er hat mit seinem Buch »Index« eine erste auch fĂŒr den Laien lesbare Darstellung der fast 400-jĂ€hrigen TĂ€tigkeit der Index-Kongregation geschrieben.

Das Buch hat zwei Teile: Der erste enthĂ€lt eine Überblicksdarstellung der Geschichte des Index von seiner Entstehung im 16. Jahrhundert als Reaktion auf die Erfindung des Buchdrucks bis hin zu seiner Aufhebung im Jahr 1966. Der zweite Teil stellt exemplarisch neun Verfahren vor, von denen sich vier mit belletristischen Schriftstellern befassen (Knigge, Heine, Beecher Stowe und Karl May), wĂ€hrend die anderen FĂ€lle theologische bzw. kirchenhistorische Schriften betreffen. An diesen Beispielen fĂŒhrt Wolf mit großer Sorgfalt die Vorgehensweisen, Argumentationen und EinflĂŒsse vor, die die Verfahren geprĂ€gt haben – eine detaillierte historische Spurensuche in den geheimen Akten des Vatikans.

Hubert Wolf: Index. Der Vatikan und die verbotenen BĂŒcher. Beck’sche Reihe 1749. ISBN: 978-3-406-54778-2. Preis: € 12,95.

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