Des Teufels Wörterbuch

Ambrose Bierce (1842-1914) ist in Deutschland als Autor beinahe nur fĂŒr eine einzige seiner Kurzgeschichte und eines seiner BĂŒcher bekannt. Die Kurzgeschichte trĂ€gt den Titel »Ein Vorfall an der Owl-Creek-BrĂŒcke« und erzĂ€hlt eine Episode aus dem Amerikanischen BĂŒrgerkrieg: Peyton Farquhar soll auf der EisenbahnbrĂŒcke ĂŒber den Owl Creek mit dem Strang hingerichtet werden. Doch als er hinterstĂŒrzt, reißt der Strick. Er fĂ€llt in den Fluss, und damit beginnt eine abenteuerliche Flucht zurĂŒck zu seiner Familie. Die Geschichte ist berĂŒhmt geworden, weil sie im letzten Absatz eine unerwartete Wendung bringt, die alles ErzĂ€hlte mit einem Schlag in ein anderes Licht rĂŒckt. Man darf sagen, dass dieser erzĂ€hlerische Trick Schule gemacht hat, aber nur selten so effektvoll angewendet worden ist wie in dieser Vorlage.

Das Buch von Bierce aber, das ihn bekannt gemacht hat, ist »Des Teufels Wörterbuch«. Es enthÀlt kurze, böse, oft auch zynische Definitionen eigentlich harmloser Begriffe:

Malerei, die – Kunst, FlĂ€chen vor dem Wetter zu schĂŒtzen und sie dem Kritiker preiszugeben.

Oder:

Heiliger, der – Toter SĂŒnder; bearbeitet und neu herausgegeben.

Mit solchen Definitionen verdiente sich Bierce zu Lebzeiten viele Anfeindungen, und er bekam den Spitznamen »Bitterer Bierce« angehĂ€ngt, den er wahrscheinlich mit einem gewissen Stolz trug. Zugleich begrĂŒndete das »Wörterbuch« aber auch Bierce‘ anhaltenden, weltweiten Ruhm. Aufgrund der zum Teil tagespolitischen und parodistischen Anspielungen existieren bis heute nur TeilĂŒbersetzungen ins Deutsche, von denen diejenige des renommierten Autors und Übersetzers Gisbert Haefs die witzigste und pointierteste ist.

Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch. Aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs. Area Verlag, 2006. ISBN: 3-89996-865-4. Preis: € 5,00.

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Der Boxer

Am 30. September 2007 wĂ€re Jurek Becker vielleicht 70 Jahre alt geworden. Vielleicht, denn er kannte sein tatsĂ€chliches Geburtsdatum selbst nicht: Beckers Vater hatte seinen Sohn im Ghetto von Lodz um einige Jahre Ă€lter gemacht, um ihn wenigstes vorerst vor der Deportation zu bewahren. Jurek kam dann 1944 zusammen mit seiner Mutter ins KZ RavensbrĂŒck. Seine Mutter starb an den Folgen der Inhaftierung, noch nachdem das Lager von der Sowjet-Armee befreit worden war. Als Jureks Vater seinen Sohn schließlich wiederfand, hatte er dessen Geburtsdatum schlicht vergessen. Und so wurde durch eine eidesstattliche ErklĂ€rung der 30. September 1937 dazu gemacht.

Jurek Becker hat vieles von den Erfahrungen und dem Charakter seines Vaters in seinem Roman »Der Boxer« (1976) verarbeitet: Protagonist ist der KZ-Überlebende Aron Blank. Aron sucht sich seinen Platz in der Ostberliner Nachkriegswelt: Er Ă€ndert seinen Vornamen in Arno, macht sich sechs Jahre jĂŒnger und arbeitet zuerst als Buchhalter eines Schwarzmarkt-Königs, spĂ€ter als Dolmetscher der sowjetischen Besatzer. Aber der Mittelpunkt seines Lebens ist Mark, das einzige seiner drei Kinder, das den Holocaust ĂŒberlebt hat. Aron sorgt dafĂŒr, dass der kranke Mark aus dem sĂŒddeutschen Lager nach Berlin verlegt wird, versorgt ihn mit Lebensmitteln, um ihn wieder aufzupĂ€ppeln, und als Mark endlich nach Hause entlassen wird, verpflichtet er Marks Lieblings-Krankenschwester als HaushĂ€lterin und nicht zuletzt als Geliebte. Trotz diesem Versuch, Mark wenigstens das GrundgerĂŒst einer Familie zu bieten, gelingt es Aron nie, seine eigene Isolation zu durchbrechen. Und so wird es mit den Jahren immer einsamer um ihn her …

Jurek Becker: Der Boxer. Suhrkamp Taschenbuch 2954. ISBN: 978-3-518-39454-0. Preis: € 6,99.

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Pu der BĂ€r

Als Alan Alexander Milne (1882-1956) daran ging, ein Buch mit Geschichten fĂŒr seinen Sohn Christopher Robin aufzuschreiben, war er ein mĂ€ĂŸig erfolgreicher, englischer Roman- und BĂŒhnenautor. Nachdem dann 1926 »Pu der BĂ€r« erschienen war, verĂ€nderte dies sein Leben fĂŒr immer. Milne schrieb zwar auch weiterhin ErzĂ€hlungen und TheaterstĂŒcke, aber Ende der 1930er-Jahre gab es fĂŒr seine ErwachsenenbĂŒcher nahezu keine Leser mehr. In den Augen des Publikums und der Kritik war Milne einer der besten Kinderbuch-Autoren seiner Zeit, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

Dieser Erfolg beruht im Wesentlichen auf vier BĂŒchern, von denen sich zwei um Christopher Robin und seine Stofftiere drehen: außer »Pu der BĂ€r« das zwei Jahre spĂ€ter erschienene »Pu baut ein Haus«. Beide BĂŒcher erzĂ€hlen von einer kleinen Gesellschaft von Stofftieren, in deren Mittelpunkt der Teddy Winnie-der-Pu und sein bester Freund Ferkel stehen. Weitere unvergessliche Gestalten sind der pessimistische Esel I-Ah, die »weise« Eule, Mutter KĂ€nga und ihr Kind Ruh und nicht zuletzt der Springinsfeld Tieger. Milnes stiller Humor und seine ebenso einfache wie prĂ€gnante Charakterzeichnung der Figuren haben die beiden BĂŒcher nicht nur zu Klassikern der Kinder-, sondern zu Weltliteratur werden lassen.

Die Pu-Gesamt-Ausgabe beim Dressler Verlag bietet nicht nur die sorgfĂ€ltige und phantasievolle Übersetzung Harry Rowohlts, sondern sie druckt auch die feinen Illustrationen der Originalausgaben von E.H. Shepard wieder ab, die er an die echten Stofftiere Christopher Robins angelehnt hat. Diese Stofftiere kann, wer will, heute ĂŒbrigens in der New York Public Library besuchen.

A.A. Milne: Pu der BĂ€r. Gesamtausgabe. Deutsch von Harry Rowohlt. Dressler Verlag, 1997. ISBN: 978-3-7915-1324-9. Preis: € 13,90.

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ZwischenfÀlle

Daniil Charms (1905-1942), bĂŒrgerlich Daniil Iwanowitsch Juwatschow, hatte ein kurzes und entbehrungsreiches Leben. Er wurde in der Sowjetunion die meiste Zeit seines Lebens politisch verfolgt und konnte sich und seine Familie nur kĂŒmmerlich durch die Veröffentlichung von KinderbĂŒchern und -gedichten ernĂ€hren. Er verhungerte schließlich wĂ€hrend der Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht als politischer Insasse der GefĂ€ngnispsychiatrie. Sein eigentliches Werk wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod aus dem Nachlass heraus entdeckt.

WĂ€re Charms ein westeuropĂ€ischer Autor gewesen, hĂ€tte man sein Werk ohne weiteres dem Dadaismus zugeordnet. Mit dieser antibĂŒrgerlichen Bewegung der Zeit zwischen den Weltkriegen teilt Charms das VergnĂŒgen an Unsinn und AbsurditĂ€ten, am Spiel mit der Sprache und an der Provokation um der Provokation willen.

»ZwischenfĂ€lle« versammelt zahlreiche kurze ProsastĂŒcke. Einiges kommt als Theaterszene daher, anderes gibt vor, eine Anekdote zu sein, doch alle StĂŒcke laufen stets den Erwartungen zuwider, die man als Leser gewöhnlich mitbringt. Um sich zum Bespiel ĂŒber die oft gedankenlose öffentliche Verherrlichung Puschkins lustig zu machen, erfindet Charms einfach einige Puschkin-Anekdoten, darunter auch diese:

Puschkin warf gern mit Steinen. Sowie er irgendwo Steine sah, legte er damit los. Manchmal geriet er derart in Fahrt, dass er dastand, rot angelaufen, die Arme schwenkte und mit Steinen warf, einfach schlimm!

Nur fĂŒr Leser mit Sinn fĂŒr Unsinn geeignet, fĂŒr die aber ein absolutes Muss.

Daniil Charms: ZwischenfĂ€lle. Aus dem Russischen von Ilse Tschörtner. Sammlung Luchterhand 2049. ISBN: 978-3-630-62049-7. Preis: € 11,00.

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Die Blendung

Als Elias Canetti im Jahr 1981 den Literatur-Nobelpreis erhielt, war das nicht nur fĂŒr ihn eine Überraschung, sondern auch fĂŒr viele deutsche Leser, denn Canetti war trotz des Erfolgs von »Die gerettete Zunge« (1977) noch weitgehend unbekannt. Erst mit dem Nobelpreis kam der spĂ€te, aber verdiente Ruhm.

Canettis Vater war ein erfolgreicher Kaufmann sephardischer Herkunft, und Elias wurde 1905 als Ă€ltester Sohn in Bulgarien geboren. Seine Muttersprache war Ladino, und als die Familie 1911 nach England zog, lernte er dort Englisch und Französisch. Als der Vater im Jahr darauf starb, begann die Mutter mit ihren drei Söhnen ein unstetes Leben in Österreich, der Schweiz und Deutschland, wo sich Elias gezwungenermaßen Deutsch als neue Gebrauchssprache aneignete, das er dann schließlich als Schriftsteller zu seiner sprachlichen Heimat machen sollte.

Canetti hat nur einen einzigen Roman geschrieben: »Die Blendung« (1935) ist bis heute weit unbekannter als seine autobiographischen BĂŒcher. ErzĂ€hlt wird die Geschichte des weltfremden Intellektuellen Peter Kien, eines weltberĂŒhmten Sinologen, der in seiner 25.000 BĂ€nde umfassenden Privatbibliothek lebt. Schon durch seine Weltfremdheit zur komischen Figur gestempelt, spitzt sich die Lage im Haushalt Kien zu, als eine neue Wirtschafterin, Therese, beschließt, Kien zu heiraten, was ihr aufgrund der zwischenmenschlichen EinfĂ€ltigkeit Kiens auch leicht gelingt. Erst nach der Hochzeit begreift Kien, dass er sein bisheriges Leben so nicht wird weiterfĂŒhren können, und geht in die Opposition zu seiner Gattin. Daraufhin wirft ihn Therese kurzerhand aus der Wohnung. Damit beginnt eine Odyssee des zunehmend verwirrten Kien …

Elias Canetti: Die Blendung. Fischer Taschenbuch 696. ISBN: 978-3-596-20696-4. Preis: € 9,95.

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Tristram Shandy

Als vor beinahe zweihundertfĂŒnfzig Jahren die ersten beiden BĂ€nde des Romans »Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman« erschienen, war ihr Autor Laurence Sterne (1713–1768) ein kleiner Landgeistlicher in Yorkshire, von dem in der Weltmetropole London bis dahin kein Mensch gehört hatte. Und obwohl Kritiker dem Buch eher misstrauisch gegenĂŒberstanden, wurde es in kurzer Zeit ein Bestseller. Es war in London in aller Munde, man erwartete gespannt die folgenden Teile (es sollten bis 1767 insgesamt neun werden), und sehr rasch erfolgten die ersten Übersetzungen ins Deutsche und Französische. Auch auf dem Kontinent wurde das Buch ein großer Erfolg und wurde rasch zum meistgelesenen Buch in Europa neben der Bibel und den Epen Homers. Und obwohl es in Deutschland seitdem immer wieder neu ĂŒbersetzt wurde, und es keine Zeit gab, in der es nicht im Druck war, ist es auch heute beinahe immer noch ein Geheimtipp.

Dabei ist es wahrscheinlich eines der witzigsten BĂŒcher der Welt. Wie der Titel sagt, erzĂ€hlt Tristram Shandy dem Leser sein Leben, und er geht dabei mit großer GrĂŒndlichkeit vor: Beginnend mit dem Tag seiner Zeugung braucht er immerhin bis zum dritten Band, um zu seiner Geburt zu gelangen. Das liegt daran, dass ihm unterwegs dauernd Abschweifungen einfallen, und so gerĂ€t er vom Hundertsten in Tausendste: Immer muss noch eine Geschichte erzĂ€hlt, noch eine Figur eingefĂŒhrt, noch ein Detail erklĂ€rt werden, bevor Tristram Shandy weitererzĂ€hlen kann. All das wird mit großem Humor vorgetragen, und der Leser folgt nach wenigen 50 Seiten atemlos den immer neuen Wendungen und Verwerfungen dieses erfundenen Lebens.

Laurence Sterne: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Aus dem Englischen von Michael Walter. Eichborn Verlag, 2006. ISBN: 978-3-8218-0733-1. Preis: € 39,90.

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Das Absolutum

Im September 1905 erschien ein Aufsatz Einsteins, in dem der Zusammenhang zwischen Materie und Energie auf die handliche Formel E = mcÂČ gebracht wird. Damit war die Idee geboren, dass Materie vollstĂ€ndig in Energie umgewandelt werden könne, wobei gewaltige Mengen von Energie frei werden. Noch bevor eine technische Anwendung dieser Idee auch nur absehbar war, erschien 1922 ein utopischer Roman von Karel Čapek (1890–1938): »Das Absolutum«. Čapek, unter anderem Miterfinder des Begriffs »Roboter« und Briefpartner Thomas Manns, lĂ€sst darin einen Ingenieur das Problem der Materieumwandlung lösen: Er baut eine Maschine, die Materie kontrolliert in Energie umwandeln kann.

Leider stellt sich dabei heraus, dass die Materie aufs Engste mit dem Göttlichem verbunden ist, und da die Materie vollstĂ€ndig verschwindet, wird das in ihr gebundene Göttliche, das Absolutum, frei. Freies Absolutum hat zwei Effekte: Zum einen verwandelt es Menschen, die ihm ausgesetzt sind, in religiöse Eiferer, zum anderen setzt es die göttliche Schaffenskraft in ungebremste TĂ€tigkeit um: Das Absolutum ĂŒbernimmt die Maschinen aller Fabriken, in denen die neue Energiequelle eingesetzt wird, und produziert so in kĂŒrzester Zeit riesige Mengen aller möglichen GĂŒter. Es ist einleuchtend, dass dies binnen Kurzem zum Zusammenbruch der kompletten Weltwirtschaft fĂŒhrt. Zeitgleich verschenken die vom Absolutum bekehrten Bankangestellten alles verfĂŒgbare Geld an Arme und BedĂŒrftige – in wenigen Monaten ist das Chaos perfekt 


Dieser kleine satirisch-utopische Roman ist derzeit leider nur antiquarisch erhÀltlich oder kann in der Stadtbibliothek Solingen ausgeliehen werden.

Karel Čapek: Das Absolutum oder die Gottesfabrik. Suhrkamp Taschenbuch, 1990.

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Ein verhÀngnisvoller Tag

Briony Tallis ist ein 13-jĂ€hriges, phantasievolles und leicht ĂŒberspanntes MĂ€dchen, das gerne Schriftstellerin werden möchte. Gerade erst hat sie ein kleines TheaterstĂŒck fertiggestellt. Da beobachtet sie an einem Vormittag im Sommer 1935 von ihrem Fenster aus eine seltsame Szene zwischen ihrer zehn Jahre Ă€lteren Schwester Cecilia und dem Ziehsohn des Hauses, Robbie Turner. Sie reimt sich zwar etwas zusammen, begreift aber nicht wirklich, was zwischen den beiden vorfĂ€llt. Dann spielt ihr der Zufall einen diskreten Brief Robbies an Cecilia in die Hand, und noch spĂ€ter am selben Tag ĂŒberrascht sie die beiden in einer sehr intimen Situation in der Bibliothek des Hauses. All dies verdichtet sich in ihr zu der Vorstellung, Robbie sei ein »Psychopath«. Als sich die Dramatik des Tages darin zuspitzt, dass ihre nur wenig Ă€ltere Kusine Lola im nĂ€chtlichen Garten ĂŒberfallen und vergewaltigt wird, ist Briony der festen Überzeugung, dass Robbie der TĂ€ter sein mĂŒsse. Und so behauptet sie, ihn am Tatort erkannt zu haben.

Ihre Zeugenaussage ruiniert nicht nur Robbies Leben, der fĂŒr dreieinhalb Jahre ins GefĂ€ngnis kommt und auch dann nur entlassen wird, weil er sich freiwillig zum MilitĂ€rdienst meldet, sondern auch das ihrer Schwester, die sich von ihrer Familie abwendet, und beinahe auch ihr eigenes. Als sie sich endlich entschließt, ihren Fehler einzugestehen, ist es vielleicht schon zu spĂ€t …

Ian McEwan hat mit diesem mehrfach preisgekrönten Roman ein psychologisches Meisterwerk geschrieben. Besonders die Entwicklung von Brionys MissverstÀndnis ist von beispielloser Eindringlichkeit und Klarheit.

Ian McEwan: Abbitte. SPIEGEL Edition Bd. 9. ISBN: 978-3-87763-009-9. Preis: € 9,90.

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Über John Updike

John Updike ist einer der auch in Europa erfolgreichen us-amerikanischen Autoren. SpĂ€testens seit seinem skandaltrĂ€chtigen Bestseller »Ehepaare« hat er auch in Deutschland eine treue Leserschaft, die jedes neue Buch mit Spannung erwartet. Und das sind nicht wenige: Im Rhythmus von etwa zwei Jahren legt Updike seine umfangreichen Romane dem Publikum vor. WĂ€hrend hierzulande hauptsĂ€chlich seine erzĂ€hlerischen Werke bekannt sind, ist er in seiner Heimat auch als Literaturkritiker und Essayist berĂŒhmt.

PĂŒnktlich zum 75. Geburtstag Updikes in diesem Jahr hat der Hamburger Journalist Volker Hage, der sich seit vielen Jahren als Kenner der literarischen Moderne ausgewiesen hat, eine erste deutschsprachige Biographie ĂŒber Updike vorgelegt. Das schmale BĂ€ndchen enthĂ€lt in KĂŒrze alles Wesentliche ĂŒber Updike und sein umfangreiches Werk.

Wir lernen Updikes Herkunft aus provinziellen und Ă€rmlichen VerhĂ€ltnissen kennen, aus denen sich auch sein Fleiß und seine Schreib-Disziplin erklĂ€ren. Nach dem Studium macht Updike eine Blitz-Karriere als Autor: Die renommierte Zeitschrift »The New Yorker« druckt nicht nur seine ersten ErzĂ€hlungen, sondern bietet ihm bald auch einen Posten als Redakteur an. Mit »Hasenherz«, dem ersten Band der Rabbit-Tetralogie, begrĂŒndet Updike dann 1960 seinen Ruf als Romanautor. Aber erst »Ehepaare«, ein Roman ĂŒber Ehe, Liebe und Sex in der amerikanischen Provinz der 60-er Jahre, macht ihn 1968 beinah ĂŒber Nacht zu einem weltweit bekannten Schriftsteller. Seitdem hat er mit seinen BĂŒchern die Entwicklung der us-amerikanischen Gesellschaft konsequent und scharfsichtig begleitet.

Volker Hage: John Updike. Rowohlt Verlag, 2007. ISBN: 978-3-498-02989-0. Preis: € 16,90.

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Eine Schulstunde

In seinem letzten Lebensjahr hat Alfred Andersch noch einmal eine Geschichte um die autobiographische Figur Franz Kien aufgeschrieben: »Der Vater ein Mörders«. Es ist die sechste, lĂ€ngste und in der Chronologie der Ereignisse frĂŒheste ErzĂ€hlung.

»Der Vater eines Mörders« berichtet von einer einzigen Schulstunde im Jahr 1928, einer Griechisch-Stunde, die dazu fĂŒhrt, dass Franz Kien vorzeitig das Wittelsbacher Gymnasium in MĂŒnchen verlassen muss und eine BuchhĂ€ndlerlehre beginnt. Franz Kien ist ein schlechter SchĂŒler, obwohl er ein heller Kopf und genauer Beobachter ist und sich ĂŒber viele Dinge seine eigenen Gedanken macht. Aber Schule interessiert ihn nicht, und Griechisch interessiert ihn am wenigsten.

An dem verhĂ€ngnisvollen Tag taucht unangemeldet der Rektor des Gymnasiums in der Klasse auf, um einige SchĂŒler einer PrĂŒfung zu unterziehen, darunter auch Franz. Der wird erst spĂ€ter verstehen, dass diese Schulstunde nur eine Inszenierung ist, um ihn von der Schule zu verweisen. Denn Franz’ Vater, ein Kriegsveteran, ist krank, erhĂ€lt aber keine Pension und kann schon lange das Schulgeld fĂŒr seine beiden Söhne nicht mehr aufbringen …

Was diese kleine ErzĂ€hlung heraushebt, ist, dass zu dieser Zeit Joseph Himmler der Rektor des Wittelsbacher Gymnasiums war, der Vater des spĂ€teren SS-FĂŒhrers Heinrich Himmler. Ihre gut 120 Seiten werfen ein Schlaglicht auf die gesellschaftliche und politische Lage in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen. Ein Buch, das keine vorschnellen Urteile fĂ€llt und seine Leser nachdenklich zurĂŒcklĂ€sst.

Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders. Diogenes Taschenbuch. ISBN: 978-3-257-23608-8. Preis: € 7,90.

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