Atemschaukel

Als im vergangenen Jahr die deutsche Autorin Herta Müller mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, dürfte dies die allermeisten Leser überrascht haben. Zwar wurde ihr Namen von einigen Wettbüros gehandelt, aber gerade in Deutschland dürften sie nur ganz wenige auf der Liste möglicher Kandidaten gehabt haben. Müller wurde 1953 als Tochter eines LKW-Fahrers in Rumänien in die Minderheit der Banater Schwaben hineingeboren. Im Jahr 1987 emigrierte sie in die BRD; sie thematisiert in ihren Romane, Erzählungen und Theaterstücken immer wieder das Leben von Menschen unter den Bedingungen der Diktatur.

Ihren im vergangenen Jahr erschienenen Roman »Atemschaukel« hatte sie zusammen mit ihrem Schriftstellerkollegen und Leidensgenossen Oskar Pastior (1927–2006) geplant, dessen Tod die Realisierung aber vorerst verhinderte. Schließlich hat sich Herta Müller aber entschlossen, den Roman alleine zu schreiben. Erzählt wird in kurzen Episoden das Schicksal des jungen Leopold Auberg, der im Januar 1945, nachdem die Russen die deutschen Besatzer aus Rumänien vertrieben haben, als Deutschstämmiger zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert wird. Erst nach fünf Jahren Plackerei, Hunger, Kälte, Schmutz und Elend darf er zu seiner Familie in einen brüchigen Frieden zurückkehren.

Entstanden ist eine eindringliche und sprachlich beeindruckend originelle Darstellung nicht nur der fünf Jahre im Arbeitslager, sondern auch der tiefgreifenden Auswirkungen, die diese Zeit auf das weiterer Leben Leopold Aubergs hat. Noch 60 Jahre nach seiner Entlassung leidet er unter den Folgen der Verschleppung.

Herta Müller: Atemschaukel. München: Carl Hanser, 2009. ISBN: 978-3-446-23391-1. Preis: € 19,90.

Ein Gedanke zu „Atemschaukel

  1. Oskar Pastior begegnete mir erstmalig in einer kleinen Videosequenz aus der Reihe „Deutsche Literatur seit 1945:
    Nachrichten von Büchern und Menschen“, worin der enge Bezug zwischen Literatur und den zeitlichen Rahmenbedingungen thematisiert wird. Das machte mich neugierig auf das Buch, der Literatur-Nobelpreis für Herta Müller verstärkte die Neugier. Beeindruckt hat mich diese besondere Sprache der Autorin, die glasklar in der Formulierung ist und Worte findet, die nirgendwo anders zu lesen sind. „Hungerengel“ ist solch ein Wort, das mir für immer bleiben wird.

Kommentare sind geschlossen.