Der Erwählte

Nach der großen Anstrengung seines »Doktor Faustus« (1947) schrieb Thomas Mann als nächsten einen humoristischen und leichten Roman: »Der Erwählte« (1951). Es handelt sich dabei um eine parodistische Neuerzählung des »Gregorius« des Hartmann von Aue (12./13. Jahrhundert). Erzählt wird die Geschichte eines aus der verbotenen Liebe zweier Geschwister aus Fürstenhaus hervorgegangenen Knaben, der als Baby ausgesetzt wird, auf einer der Kanalinseln heranwächst und dort zum Geistlichen erzogen wird. Trotz dieser Ausbildung drängt es Gregorius, Ritter zu werden, was er schließlich auch durchsetzt.

Er kehrt unwissentlich in seine Heimat zurück, befreit die Stadt, in der seine Mutter residiert, von einer Belagerung und heiratet im Anschluss seine Mutter, mit der er zwei Töchter zeugt. Als zufällig die verwickelten Verwandtschaftsverhältnisse zutage kommen, verbannt sich Gregorius zu einem Exil im Sünderhemd auf einer winzigen Felseninsel, auf der er auf wundersame Weise von der Erde selbst genährt wird. Befreit wird er nach 17 Jahren von zwei römischen Gesandten, die sich aufgrund einer göttlichen Vision auf die Suche nach ihm gemacht hatten, um ihn als Papst nach Rom zu führen.

Diese im Grunde gräuliche Geschichte, die übrigens keinem wirklichen Papst zugeordnet wird, ist schon bei Hartmann mit zahlreichen märchenhaften und fantastischen Elementen durchsetzt. Mit Hilfe seines leichten und ironischen Tons verwandelt Thomas Mann diesen Stoff in ein humoristisches Glanzstück. Ich empfehle, sich das Büchlein vom »König der Vorleser«, Gert Westphal, vorlesen zu lassen.

Thomas Mann: Der Erwählte. Ungekürzte Lesung von Gert Westphal. Berlin: Universal/Deutsche Grammophon, 2005. 10 CDs mit zus. etwa 660 Minuten Laufzeit. Preis: ca. 60,- €.