Von A bis Z

Wenn jemand versuchen würde, die langweiligsten Dinge aufzuzählen, über die man ein Buch schreiben kann, so würde sich – falls derjenige überhaupt darauf käme – das Lesen eines Lexikons mit Sicherheit ziemlich weit oben auf der Liste befinden. Zu Unrecht, wie uns das Buch »Britannica & ich« von A. J. Jacobs beweist.

Jacobs ist ein amerikanischer Journalist, der sich vor einigen Jahren dazu entschlossen hat, die Encyclopaedia Britannica komplett durchzulesen. Die Britannica ist das bedeutendste englischsprachige Lexikon; sie hat 32 Bände mit zusammen etwa 33.000 Seiten und 65.000 Stichwörtern – einige davon mit buchlangen Artikeln. Und Jacobs hat diesen Papierberg in 15 Monaten bewältigt. Er gibt offen zu, nicht jede Seite mit der gleichen Aufmerksamkeit gelesen zu haben, aber immerhin hat er sie alle gelesen.

So weit, so verrückt. Das wunderbare aber ist, dass es Jacobs gelungen ist, in seine Lektüre zu einer spannenden, witzigen und oft skurrilen Geschichte zu verarbeiten: Von A bis Z folgen wir ihm auf einem abenteuerlichen Weg durch einen Dschungel des Wissens. Wir erleben mit, wie ihn Freunde und Arbeitskollegen zuerst etwas irritiert von der Seite anschauen, schließlich aber beginnen, ihn ernst zu nehmen. Wir verfolgen gespannt seinen Versuch, in der amerikanischen Version von »Wer wird Millionär?« sein Wissen in bares Geld umzumünzen. Und wir freuen uns mit ihm, als – ganz unabhängig von der Lektüre – nach langer Zeit seine Frau endlich schwanger wird und Jacobs Lektüre plötzlich eine väterliche Perspektive bekommt. – Ein ungewöhnliches und amüsantes Buch!

A. J. Jacobs: »Britannica & ich«. Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr. List, 2006. 427 Seiten. ISBN 13: 978-3-471-79513-2. Preis: € 19,95.

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Shakespeare und seine Zeit

»Es ist über Shakespeare schon so viel gesagt, dass es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig«, schreibt Goethe bereits im Jahr 1813. Aber auch danach noch ist eine schier unübersehbare Menge von Büchern über Shakespeare nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Deutsch erschienen.

Doch dann und wann ragt ein Buch für einige Jahre über diese Flut hinaus und kann eine Zeit lang ein neues Bild Shakespeares prägen. Peter Ackroyds Shakespeare-Biografie könnte ein solches Buch sein. Auf deutlich über 600 Seiten fasst Ackroyd in seiner gut lesbaren Erzählung das zusammen, was wir über William Shakespeare und seine Zeit heute wissen.

Und das ist erstaunlich viel: Denn der Mangel, der oft bei konkreten biografischen Details spürbar wird, da es einfach zu wenige zeitgenössische Quellen gibt, wird durch eine lebendige und kenntnisreiche Beschreibung der Lebens- und Arbeitswelt Shakespeares mehr als wett gemacht. Der Leser findet in diesem Buch nicht nur alles Relevante über Shakespeare, es eröffnet sich ihm zugleich die elisabethanische Kultur Englands, und insbesondere lernt er die Theaterwelt dieser Zeit kennen, die Shakespeares Schreiben und Denken ganz wesentlich mitbestimmt hat.

Es ist für das Buch sicherlich von Vorteil, dass es nicht von einem Shakespeare-Spezialisten geschrieben worden ist. Ackroyds langjährige journalistische Erfahrung und sein breites historisches Wissen machen diese umfangreiche Biografie beinahe schon zu einem historischen Roman.

Peter Ackroyd: Shakespeare. Die Biographie. Aus dem Englischen von Michael Müller und Otto Lucian. Knaus, 2006. 655 Seiten. ISBN-13: 978-3-8135-0274-9, Preis: € 28,–.

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Weit mehr als nur ein Jugendbuch

Als sich Samuel L. Clemens, der unter seinem Pseudonym Mark Twain schon berühmt war, hinsetzte, um eine Fortsetzung zu seinem erfolgreichen Roman »Die Abenteuer von Tom Sawyer« zu schreiben, war ihm wahrscheinlich selbst nicht klar, dass er damit sein Meisterwerk schaffen würde. Während sich der »Tom Sawyer« aus Twains Jugenderinnerungen speiste und deshalb in weiten Teilen zur Idylle geriet, war die Perspektive in »Huckleberry Finn« die eines kritischen und spöttischen Erwachsenen.

Im Gegensatz zu Tom Sawyer, der bei seiner Tante Polly in behüteten Verhältnissen aufwächst, ist sein Freund Huckleberry Finn der Sohn eines wüsten und grausamen Trunkenbolds. Deswegen reißt Huck auch eines Tages von zu Hause aus und versteckt sich auf einer Mississippi-Insel, wo er dem geflüchteten Negersklaven Jim begegnet. Der eine auf der Flucht vor der bürgerlichen Ordnung, der andere auf der vor dem Gesetz, verbünden sie sich und reisen gemeinsam auf einem Floß den Mississippi hinab.

»Die Abenteuer von Huckleberry Finn« ist ein Buch voller Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit und Gerechtigkeit, das es nur noch auf dem Fluss zu geben scheint. Und es schildert auch das Scheitern dieser Sehnsucht an einer nur auf ihren eigenen Vorteil bedachten Welt. Und darüber hinaus ist es großartig erzählt! Kein Wunder, dass dieser Roman großen Einfluss auf so verschiedene Autoren wie etwa Sherwood Anderson, Ernest Hemingway oder Jerome D. Salinger gehabt hat.

Mit »Alles über Huckleberry Finn« legte der Europa Verlag im Jahr 2001 die ultimative deutsche Ausgabe vor: Der reich illustrierte und kommentierte, großformatige Band enthält auf 610 Seiten neben einer umfangreichen Einführung von Herausgeber Michael P. Hearn die derzeit beste deutsche Übersetzung von Friedhelm Rathjen. – ISBN: 3-203-83535-5, Preis: € 39,90.

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Der weiße Neger Wumbaba

Alles begann mit einer kleinen Kolumne, die Axel Hacke für das Magazin der Süddeutschen Zeitung verfasst hatte und in der er davon erzählte, wie falsch er manche Liedtexte verstanden habe. Er erhielt daraufhin so viele Zuschriften von Lesern, denen es ganz ähnlich gegangen war, dass er daraus ein kleinen Büchlein gemacht hat: „Der weiße Neger Wumbaba“. Seitdem ist der weiße Neger Wumbaba so etwas wie eine Symbolfigur für das weit verbreitete Phänomen des Verhörens geworden.

Er hat seinen Ursprung in dem schönen „Abendlied“ von Matthias Claudias, in dem es in der ersten Strophe heißt: „Der Wald steht schwarz und schweiget, / Und aus den Wiesen steiget / Der weiße Nebel wunderbar.“ Und diese Zeilen hatte einer der Leser von Axel Hacke verhört zu: „Und aus den Wiesen steiget / Der weiße Neger Wumbaba.“ Das ist nun natürlich auf der einen Seite blanker Unsinn, aber auf der anderen auch ein Bild von einer ganz eigenen poetischen Kraft. Und es zeigt, wie sich die Phantasie auch noch aus dem Unverständlichsten ihre eigene Welt zu erschaffen versteht.

Das Büchlein steckt voller witziger Beispiele, wie sich Menschen das zusammenreimen, was sie nicht richtig verstanden haben. Dabei sind Kinder oft besonders begabt, wie etwa das kleine Mädchen, das aus der Schule heimkommt und der Mutter erzählt, morgen müsse es sich besonders fein anziehen, denn es komme der Erdbeerschorsch in die Schule, um die Kinder zu filmen. Eine Nachfrage bei der Lehrerin ergab dann, dass es der Erzbischof sei, der komme, um die Kinder zu firmen.

Der erste Band ist schon in der Stadtbibliothek vorhanden, und der zweite Teil „Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück“ ist vor wenigen Tagen im Buchhandel erschienen. Beide Bändchen sind liebevoll von Michael Sowa illustriert worden.

Verlag Antje Kunstmann, 2004. 64 Seiten. 8,90 €. ISBN: 3-88897-367-8.

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Supergute Tage

Christopher Boone lebt mit seinem Vater in einem Vorort von London. Christopher besucht eine Sonderschule, weil er anders ist als andere Kinder: Manchmal redet er lange Zeit gar nicht, und er mag keine gelben oder braunen Gegenstände, er mag nicht angefasst werden und er verliert, wenn er wütend wird, leicht die Kontrolle über sich. Aber er kann auch außergewöhnlich gut rechnen, kennt alle Primzahlen bis 7057 auswendig und liebt logische Rätsel. Christopher ist ein Autist.

Christophers großes Vorbild ist Sherlock Holmes, und als in seiner Straße der Hund einer Nachbarin gewaltsam zu Tode kommt, nimmt sich Christopher vor, den Fall aufzuklären! Allerdings wird er im Zuge seiner Ermittlungen sehr bald auf ein ganz anderes, größeres Geheimnis stoßen, das mit seiner Mutter zu tun hat, von der er glaubt, sie sei seit zwei Jahren tot. Und Christopher wird sich allein in eine großes Abenteuer stürzen, wird sich nach London aufmachen und Dinge erleben, wie er sie nie zu träumen gewagt hätte.

Mark Haddon hat mit „Supergute Tage“ einen durch und durch freundlichen und liebevollen kleinen Roman geschrieben, der aus der Perspektive seines autistischen Helden erzählt wird. Der Leser lernt auf diese Weise eine Welt kennen und begreifen, die ganz anders organisiert ist, als seine eigene. Haddon vermittelt sehr einfühlsam die Ängste Christophers und die Grenzen, an die er in seiner Welt immer wieder stößt und die er zu überwinden lernt.

Ein Buch zum Selberlesen und Weiterverschenken!

Goldmann Taschenbuch, 2005. 282 Seiten. 8,95 €. ISBN: 3-442-46093-X.

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