Obwohl er zu seinen Lebzeiten nur ein einziges Buch veröffentlicht hat, gilt Fernando Pessoa (1888–1935) heute als einer der bedeutendsten Autoren Portugals. Das liegt zum einen daran, dass er 20 Jahre lang an jeder bedeutende literarischen Zeitschrift Portugals als Gründer oder Beiträger beteiligt war, zum anderen, dass von ihm ein umfangreicher literarischer Nachlass existiert, den man bis heute noch nicht gänzlich ausgeschöpft hat. Das Besondere aber an den Schriften Pessoas ist, dass sie nicht nur sehr widersprüchliche Tendenzen in sich vereinen, sondern dass Pessoa sich für die unterschiedlichen Teile seines Gesamtwerks verschiedene Autoren erfunden hat, denen er diese Teile zuschreibt.
Über einen dieser erfundenen Autoren, Ricardo Reis, hat der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago (1922–2010) eine Roman geschrieben. Saramago lässt Reis Ende des Jahres 1935 aus Brasilien nach Portugal zurückkehren, wohin ihn Fernando Pessoa den Arzt im Jahr 1919 hatte auswandern lassen. Reis kehrt zurück, weil ihn die Nachricht vom Tode Pessoas erreicht hat. Und so besucht er gleich am Tag nach seiner Ankunft dessen Grab, doch dauert es nicht lange, bis sich der Geist Pessoas leibhaftig in Ricardos Hotelzimmer einfindet, um mit seiner Erfindung ein wenig über Leben und Tod zu plaudern …
Saramago schildert nicht nur, wie sich Ricardo Reis langsam wieder in Lissabon einlebt, sondern stellt wie nebenbei auch die portugiesisch-spanische Geschichte des Jahres 1936 dar. Das alles geschieht in langen, schwingenden und sehr musikalischen Sätzen. Ein überraschend vielfältiges Buch für geduldige Leser.
José Saramago: Das Todesjahr des Ricardo Reis. Aus dem Portugiesischen von Rainer Bettermann. rororo Taschenbuch 22308. ISBN: 978-3-499-22308-2. Preis: € 9,90. Dieser Titel kann in der Stadtbibliothek Solingen über die Bergisch-Bib entliehen werden.