Als Elias Canetti im Jahr 1981 den Literatur-Nobelpreis erhielt, war das nicht nur für ihn eine Überraschung, sondern auch für viele deutsche Leser, denn Canetti war trotz des Erfolgs von »Die gerettete Zunge« (1977) noch weitgehend unbekannt. Erst mit dem Nobelpreis kam der späte, aber verdiente Ruhm.
Canettis Vater war ein erfolgreicher Kaufmann sephardischer Herkunft, und Elias wurde 1905 als ältester Sohn in Bulgarien geboren. Seine Muttersprache war Ladino, und als die Familie 1911 nach England zog, lernte er dort Englisch und Französisch. Als der Vater im Jahr darauf starb, begann die Mutter mit ihren drei Söhnen ein unstetes Leben in Österreich, der Schweiz und Deutschland, wo sich Elias gezwungenermaßen Deutsch als neue Gebrauchssprache aneignete, das er dann schließlich als Schriftsteller zu seiner sprachlichen Heimat machen sollte.
Canetti hat nur einen einzigen Roman geschrieben: »Die Blendung« (1935) ist bis heute weit unbekannter als seine autobiographischen Bücher. Erzählt wird die Geschichte des weltfremden Intellektuellen Peter Kien, eines weltberühmten Sinologen, der in seiner 25.000 Bände umfassenden Privatbibliothek lebt. Schon durch seine Weltfremdheit zur komischen Figur gestempelt, spitzt sich die Lage im Haushalt Kien zu, als eine neue Wirtschafterin, Therese, beschließt, Kien zu heiraten, was ihr aufgrund der zwischenmenschlichen Einfältigkeit Kiens auch leicht gelingt. Erst nach der Hochzeit begreift Kien, dass er sein bisheriges Leben so nicht wird weiterführen können, und geht in die Opposition zu seiner Gattin. Daraufhin wirft ihn Therese kurzerhand aus der Wohnung. Damit beginnt eine Odyssee des zunehmend verwirrten Kien …
Elias Canetti: Die Blendung. Fischer Taschenbuch 696. ISBN: 978-3-596-20696-4. Preis: € 9,95.
Canetti ist ein Meister! So viele Irre und alle versammelt und aufs Wunderbarste in diesem Roman vereint! Jeder ist gänzlich seiner eigenen Vorstellungs- und Gedankenwelt verpflichtet. Dennoch begegnen sie sich ständig und übertrumpfen sich dabei, für die anderen Mitspieler das verrückte Schicksal zu sein. Einzig Georg Kien, der Bruder des Protagonisten, erscheint normal: Er leitet ein Irrenhaus mit 800 Patienten. Alle anderen sind tatsächlich irgendwie geblendet, die Frauen sind nicht nur dem egoistischen Irrsinn verfallen, sondern auch besonders dumm. Ein Spiegel der Menschheit? Ich schaue mich um: Vielleicht …