Der Jurist Ferdinand von Schirach (geb. 1964) hatte im vergangenen Jahr mit seinem ersten Band von Erzählungen, »Verbrechen«, einen unerwarteten Bestseller-Erfolg. Autor und Verlag haben daher in diesem Jahr eine Fortsetzung erscheinen lassen, die es auch wieder bis auf die Bestsellerlisten geschafft hat. Nach dem bewährten Muster erzählt von Schirach Fälle aus seiner juristischen Praxis nach, tragische, komische, absurde und dann und wann auch einen, der gerecht endet.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Alexandra, die als junge Frau vom Land in die Stadt zieht und sich in den Verkäufer ihres ersten Autos verliebt. Es dauert zwei Jahre, bis die beiden heiraten, und erst als Alexandra mit einem Mädchen schwanger ist, wird ihr Mann ihr gegenüber zum ersten Mal gewalttätig. Was zuerst als ein Ausrutscher unter Alkoholeinfluss erscheint, wird mit den Jahren zu einer systematischen Folter. Als ihr Mann ihr schließlich ankündigt, er werde nun auch noch die gemeinsame Tochter missbrauchen, wird er im Schlaf mit einem schweren Gegenstand erschlagen. Als Täterin kommt offensichtlich nur Alexandra in Frage, die die Tat auch nicht abstreitet. Der medizinische Bericht ihrer Verletzung ist vierzehn Seiten lang und dokumentiert, dass sie von ihrem Mann beinahe totgeschlagen worden wäre. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft keine andere Wahl, als sie des Mordes anzuklagen, denn die Tötung eines schlafenden Menschen erfüllt den Tatbestand der Heimtücke. Und auch der Richter hat eigentlich keine Alternative dazu, sie zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Die Verhandlung des Falles dauert nur zwei Tage und endet mit einem überraschenden Urteil …
Ferdinand von Schirach: Schuld. Stories. München: Piper, 2010. ISBN: 978-3-492-05422-5. Preis: € 17,95.