Am 30. September 2007 wäre Jurek Becker vielleicht 70 Jahre alt geworden. Vielleicht, denn er kannte sein tatsächliches Geburtsdatum selbst nicht: Beckers Vater hatte seinen Sohn im Ghetto von Lodz um einige Jahre älter gemacht, um ihn wenigstes vorerst vor der Deportation zu bewahren. Jurek kam dann 1944 zusammen mit seiner Mutter ins KZ Ravensbrück. Seine Mutter starb an den Folgen der Inhaftierung, noch nachdem das Lager von der Sowjet-Armee befreit worden war. Als Jureks Vater seinen Sohn schließlich wiederfand, hatte er dessen Geburtsdatum schlicht vergessen. Und so wurde durch eine eidesstattliche Erklärung der 30. September 1937 dazu gemacht.
Jurek Becker hat vieles von den Erfahrungen und dem Charakter seines Vaters in seinem Roman »Der Boxer« (1976) verarbeitet: Protagonist ist der KZ-Überlebende Aron Blank. Aron sucht sich seinen Platz in der Ostberliner Nachkriegswelt: Er ändert seinen Vornamen in Arno, macht sich sechs Jahre jünger und arbeitet zuerst als Buchhalter eines Schwarzmarkt-Königs, später als Dolmetscher der sowjetischen Besatzer. Aber der Mittelpunkt seines Lebens ist Mark, das einzige seiner drei Kinder, das den Holocaust überlebt hat. Aron sorgt dafür, dass der kranke Mark aus dem süddeutschen Lager nach Berlin verlegt wird, versorgt ihn mit Lebensmitteln, um ihn wieder aufzupäppeln, und als Mark endlich nach Hause entlassen wird, verpflichtet er Marks Lieblings-Krankenschwester als Haushälterin und nicht zuletzt als Geliebte. Trotz diesem Versuch, Mark wenigstens das Grundgerüst einer Familie zu bieten, gelingt es Aron nie, seine eigene Isolation zu durchbrechen. Und so wird es mit den Jahren immer einsamer um ihn her …
Jurek Becker: Der Boxer. Suhrkamp Taschenbuch 2954. ISBN: 978-3-518-39454-0. Preis: € 6,99.